Brüssel erwägt Klimapolitik à la carte

ENERGIE Kommissionschef Barroso bremst beim Ökostrom – dabei gehen Investitionen schon jetzt zurück

BRÜSSEL taz | Wie viele Klimaschutzziele dürfen’s sein? Eine Woche vor der geplanten Vorstellung der neuen EU-Klimapläne für 2030 wird der Streit in der EU-Kommission härter. Innerhalb der Brüsseler Behörde liegen die Vorstellungen wichtiger Akteure so weit auseinander, dass eine Einigung fast unmöglich scheint.

Aus dem Umfeld von Kommissionspräsident José Manuel Barroso wurden die schlimmsten Befürchtungen aus Deutschland bestätigt: Künftig solle es nur noch ein verbindliches Ziel für den CO2-Ausstoß, jedoch keines mehr für erneuerbare Energien geben. „Wir müssen eine delikate Balance zwischen Nachhaltigkeit, Energiesicherheit und Wettbewerbsfähigkeit finden“, rechtfertigte sich Barroso bei einer Rede vor dem Europaparlament in Straßburg. Damit ging er auf Konfrontationskurs zur Bundesregierung: Energieminister Sigmar Gabriel und Umweltministerin Barbara Hendriks hatten erst am Dienstag verbindliche Vorgaben auch für die Erneuerbaren gefordert.

Dieser Forderung soll sich mittlerweile auch der deutsche EU-Energiekommissar Günther Oettinger angeschlossen haben. Wenn die EU nur noch ein CO2-Ziel habe, werde der Trend zum Bau von Atomkraftwerken verstärkt, hieß es aus seinem Umfeld. Allerdings sei ein verbindliches Ziel für Erneuerbare schwer durchzusetzen, da man bei den Erneuerbaren Einstimmigkeit unter den 28 EU-Ländern brauche. In Brüssel wird daher ein Kompromiss diskutiert. Demnach soll es zwar ein neues Ziel für die Erneuerbaren geben. Es wäre jedoch nur für die EU als Ganzes verbindlich; für die Mitgliedstaaten gäbe es nur eine Berichtspflicht. Das Ergebnis wären „Erneuerbare à la carte“ – jedes Land könnte seine eigenen Ziele zurechtzimmern.

Klimaschützer dürften sich damit kaum zufriedengeben. Denn schon jetzt lassen die Investitionen in saubere Energien nach: Weltweit sind sie zum zweiten Mal in Folge gefallen, meldete der Fachdienst Bloomberg New Energy Finance (BNEF). In Europa fiel der Rückgang mit 41 Prozent besonders drastisch aus.

Dies ist zwar zum Teil auf sinkende Kosten für Solarpanele zurückzuführen. Nach Angaben von BNEF-Gründer Michael Liebreich ist der Rückgang aber auch eine Folge der nachlassenden Förderung in großen EU-Ländern. Am stärksten sanken die Investitionen in Deutschland: von 26,2 Milliarden Dollar 2012 auf nur noch 14,1 Milliarden Dollar im letzten Jahr, den tiefsten Wert seit 2006. ERIC BONSE