Ich nehm die Blauen

Pour la France: Her mit den blonden Gallierinnen (und Galliern)!

Mit der nationalen Euphorie der vergangenen Wochen verhält es sich wie mit einer Monatskarte für den öffentlichen Nahverkehr – beide sind, streng genommen, nicht übertragbar.

Da aber Deutschland es nicht ins Finale geschafft hat, ist der Gunst ihr Gegenstand abhanden gekommen. Sie kann nun neu verteilt werden, die Gunst – vermittels einer verräterischen Übersprungshandlung, bei der sportliche Erwägungen keine Rolle spielen.

Wozu also bekennt sich, wer sich jetzt zu Frankreich bekennt? In erster Linie wohl zu seinem persönlichen Reservoir nebulöser Klischees über das Nachbarland, die sich, bei Flutlicht betrachtet, allesamt als überraschend positiv und vielgestaltig erweisen. Nicht gemeint sind damit „Kultur, Landschaft, Leute und die tolle Küche“ – die kann, wer will, auch an Italien lieben und das „savoir vivre“ ohne größere Verluste durch die „dolce vita“ ersetzen. Gemeint sind vielmehr fröhlich hervorsprudelnde Namen und Begriffsbündel, die nichts miteinander zu tun haben und sich doch zu einem idyllischen Gesamtbild fügen. Tüftler wie Joseph-Ignace Guillotin und Zauberer wie Zinedine Zidane, Opfer wie Battiston und Täter wie Bonaparte, Schwerenöter wie Gainsbourg und Schwergewichte wie Baudrillard, ah! Buchstäblich wie sprichwörtlich auf der Zunge zergehen lassen kann man sich, dass große Weine wie der Châteauneuf-du-Pape aus dem provenzalischen Städtchen Châteauneuf-du-Pape, Camembert aus dem bretonischen Örtchen Camembert und der Champagner aus der Champagne stammt? Wie könnte man eine Sprache verachten, die mit dem Deutschen zwar Hässlichkeiten wie „hä?“ oder „Mainz“ gemein hat, sie aber verniedlichen und als „hein?“ oder „Mayence“ eingemeinden? Und wo sonst wird etwas so Profanes wie eine Filterzigarette so leidenschaftlich in eine „blonde Gallierin“ verwandelt, ein Auto mit dem Kürzel DS kurzerhand zur „déesse“, zur Göttin?

„Welcher Verbrauch an Kaffee, Zigaretten und Wörterbüchern“, klagte der rumänische Schriftsteller E.M. Cioran, „um auch nur einen einigermaßen richtigen Satz in dieser unnahbaren, für meinen Geschmack allzu noblen, allzu distinguierten Sprache schreiben zu können!“, von der Kommentierung eines Fußballspiels ganz abgesehen.

Also: Allez les bleus! Nicht nur, weil mich mein italienisches Motorrad im Stich gelassen hat, beim Urlaub in Frankreich, wo sonst – sondern auch, weil wir beide, Frankreich und ich, uns seit Jahren zufällig das Kürzel teilen: FRA