: Olympia-Senior kommt aus Hamburg
CURLING Erstmals wird eine Hamburger Mannschaft Deutschland bei Olympischen Winterspielen vertreten. Verlegerenkel John Jahr führt als Skip das Curling-Team nach Sotschi. Die Generalprobe war schon spannend
VON RALF LORENZEN
Als spannendster Krimi des Jahres war die Mitgliederversammlung des Hamburger SV im Congress Centrum angekündigt worden. Mindestens so spannend ging es am Sonntag in der Nähe der HSV-Heimstätte zu: in der Stellinger Curling-Halle.
Dort spielte die Mannschaft des Titelverteidigers vom Curling Club Hamburg um die deutsche Meisterschaft und lag nach vier Siegen in vier Spielen scheinbar uneinholbar vorn – bevor sie es mit zwei Niederlagen noch einmal spannend machte (bei Redaktionsschluss lag der CCH im abschließenden Tiebreak gegen die Mannschaft der Spielgemeinschaft Obersdorf-Füssen nach dem vierten End deutlich in Führung).
Unglaubliche Nervenstärke
Das Hamburger Team um Skip John Jahr entwickelt sich langsam zu Spezialisten für Curling-Krimis. Mit unglaublicher Nervenstärke hat es im Dezember nach zwei Anfangsniederlagen und klarem Rückstand im entscheidendem Spiel mit dem letzten Stein die Olympiaqualifikation geschafft.
„Im Qualifikationsturnier standen wir nach den ersten beiden Spielen schon früh an der Klippe, da durfte kein Ausrutscher mehr passieren“, erinnert sich Verlegererbe Jahr. „Aber durch die harte Saison wussten wir: Wir sind gut genug, alle zu schlagen.“ Dieses Selbstbewusstsein hatte sich das Team, das auch einen Mentaltrainer beschäftigt, im November mit dem überlegenen Sieg bei der B-Europameisterschaft geholt, mit dem es Deutschland nicht nur in die A-Gruppe zurückführte, sondern sich auch einen Startplatz für die WM 2014 in Peking sicherte.
Skiferien in Arosa
Die Geschichte des Curling in Hamburg weist zurück in die Freizeitgewohnheiten des Hanseatischen Geldadels und seiner Sprösslinge. Ende der 60er-Jahre nutzte eine Gruppe um den Verlegersohn John Jahr (Gruner & Jahr) die Hamburger Skiferien zum Wintersport in Arosa. „Die haben nachmittags nach dem Skifahren Curling gespielt“, sagt Lenard Schulze, der Präsident des Curling Clubs Hamburg (CCH). „Als sie bei einem Turnier mal Dritter wurden, dachten sie, sie könnten Curling spielen und dann haben sie diesen Club gegründet“.
Der Club ist mittlerweile nicht nur der größte seiner Art in Deutschland, sondern verfügt seit 1977 auch über die größte reine Curling-Halle im Land. Und bereitet sich derzeit auf den Höhepunkt seiner Geschichte vor: Das Herrenteam wird Deutschland bei den Olympischen Spielen in Sotschi vertreten. Es wird die erste Hamburger Mannschaft überhaupt sein, die an Olympischen Winterspielen teilnimmt.
„Mit der Teilnahme haben wir das wichtigste Ziel schon erreicht“, sagt Jahr. „Im Vergleich mit den Vollprofis aus Schottland, Kanada oder Schweden sind wir die absoluten Underdogs.“
Jahr, Verlegererbe, der im Privatleben Beteiligungsmanagement betreibt und Gesellschafter der Hamburger Spielbank ist, gibt als Skip die Taktik vor und entscheidet, wohin der nächste Stein gespielt wird. Seine Rückkehr ins Hamburger Team beendete vor ein paar Jahren die sportliche Vorherrschaft der Curling-Herren aus dem Allgäu.
Schon 1985 war Jahr Curling-Europameister, trat danach aber kürzer und stieg für zehn Jahre komplett aus. Zum einen, weil die zeitliche Belastung zu groß wurde, aber auch, weil der sportliche Anspruch gewachsen war. „Ich wollte ein Team, mit dem wir in der Weltspitze mithalten können.“
Team gefunden
Das fand er dann 2010 in seinem Heimatclub vor, wo sich Felix Schulze, Christopher Bartsch, Sven Goldemann und Peter Rickmers inzwischen stark weiterentwickelt hatten. Mit der Perspektive auf die Olympischen Spiele ließ sich Jahr noch einmal auf den Leistungssport mit seinen hohen Trainingsanforderungen ein.
Nachdem sich die Hamburger in der nationalen Ausscheidung gegen das Team Allgäu durchgesetzt hatten, qualifizierten sie sich Ende Dezember in Füssen gegen starke internationale Konkurrenz endgültig für die Olympischen Spiele, an denen die 10 besten Teams der Welt teilnehmen. In Sotschi wird Jahr der älteste deutsche Teilnehmer sein, wenn nicht der Älteste überhaupt. Und das alles, weil es in Hamburg Skiferien gibt.