: Schluss mit hurtig, hurtig
KONJUNKTUR Chinas Wirtschaft erlebt die längste Wachstumsschwäche seit 35 Jahren. Ökonomen sehen das positiv: Langsameres Wachstum erhöhe den Lebensstandard
STEVEN BARNETT, IWF
AUS PEKING FELIX LEE
Lange war die Volksrepublik das Land des Turbowachstums. Diese Zeit ist nun vorbei. Um 7,7 Prozent ist Chinas Wirtschaft im vergangenen Jahr gewachsen, berichtet das chinesische Statistikamt, genauso wenig wie im Jahr zuvor. Damit erlebt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ihre längste Wachstumsschwäche seit Beginn der Reformen vor 35 Jahren. Die Schwäche soll anhalten. Ökonomen gehen davon aus, dass das chinesische Wirtschaftswachstum in der zweiten Hälfte 2014 unter die 7-Prozent-Marke fallen könnte.
Vor allem der Anstieg der Sachinvestitionen in Maschinen und Fabriken hat sich in China deutlich abgeschwächt. Wuchsen sie 2012 noch um 20,7 Prozent, waren es im vergangenen Jahr 1,1 Prozentpunkte weniger. Auch die Industrieproduktion ist mit einem Plus von 9,7 Prozent nicht mehr ganz so schnell gewachsen. Im Jahr zuvor war der Zuwachs noch zweistellig.
Ökonomen verweisen darauf, dass weniger Wachstum keineswegs schlecht ist. Im Gegenteil: Steven Barnett vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass das verringerte Wachstum in China höheres Einkommen bedeute. Warum? Die chinesische Führung setze nicht mehr wie in den Jahren zuvor auf kurzfristige Impulse, sondern sei um ein „ausgewogenes und nachhaltiges Wachstumsmodell“ bemüht. Das werde langfristig den Lebensstandard erhöhen, so Barnett: „Anstatt uns zu sorgen, sollten wir die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft begrüßen.“
Die chinesische Führung hatte 2009 ein gigantisches Konjunkturpaket geschnürt. Sie wollte verhindern, dass das bis dahin extrem von Exporten abhängige Land mit in den Sog der Weltfinanzkrise gezogen wird. Das gelang ihr auch, indem sie enorm viel Geld vor allem in die Bauwirtschaft pumpte.
Die Folge sind nun gigantische Überkapazitäten. Nicht nur, dass in vielen Teilen des Landes Geisterstädte entstanden sind mit endlos erscheinenden Hochhaussiedlungen, die leer stehen. Die Überkapazitäten zeigen sich vor allem in der Stahlindustrie. Allein die Provinz Hebei, die die Stadt Peking umschließt, hat in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres mit 314 Millionen Tonnen so viel Stahl und Eisen hergestellt wie sämtliche EU-Staaten zusammen. Das entspricht dennoch gerade einmal einem Drittel der gesamten chinesischen Stahlproduktion. So viel Stahl benötigt auch China in absehbarer Zeit nicht.
Überkapazitäten gibt es zudem bei Zement, Aluminium, Glas und im Schiffsbau. Vor allem die energieintensiven Stahl- und Aluminiumfabriken, die zumeist mit Kohle befeuert werden, sind die Hauptverursacher für den schweren Smog in Peking und in anderen chinesischen Großstädten. Auch aus diesem Grund hat die chinesische Regierung vor einigen Wochen verkündet, die Stahlproduktion bis 2017 um 11 Prozent drosseln zu wollen.
Der in Peking lebende Ökonom Andrew Batson vom Wirtschaftsforschungsinstitut Dragonomics hält es auch aus einem weiteren Grund für „unausweichlich“, dass Chinas Wirtschaft nach Jahren zweistelliger Wachstumsraten zur Ruhe kommt. Der gesamte chinesische Finanzsektor ist aufgebläht. Ebenfalls im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2009 hatte Chinas Führung die ihr unterstellten Banken angewiesen, die Kreditvergabe zu lockern.
Die Banken übertrieben es jedoch mit der Vergabe. Lokalregierungen, Staatsunternehmen, aber auch viele Privatbetriebe haben in den vergangenen vier Jahren zu viel investiert. Neu entstandene Kongresshallen im Ausmaß der Hamburger Elbphilharmonie in zahlreichen Provinzstädten, die keine Verwendung finden, zeugen von diesen Fehlinvestitionen. Nun werden die Banken von der Staatsführung dazu angehalten, ihre Bilanzen zu säubern. Und das, so der Ökonom Batson, habe unweigerlich Auswirkungen auf die Realwirtschaft.