Neue Blicke in den alten Fundus

MUSEUM FÜR FOTOGRAFIE 650 qm groß und 10 Meter hoch: Der wiederhergestellte Kaisersaal im Fotomuseum Berlin wird mit Architekturaufnahmen aus zwei Jahrhunderten eröffnet

Tatsächlich tritt die Fotografie meist vollständig an die Stelle der gemeinten Architektur

VON BRIGITTE WERNEBURG

Die Wiedereröffnung des sachlich elegant erneuerten Kaisersaals im Museum für Fotografie am Bahnhof Zoo mit einer Ausstellung von Architekturfotografien zu feiern, wie sie sich in den unterschiedlichsten Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin finden, ist zwar eine nahe liegende, deswegen aber keine schlechte Idee. Die Schau heißt „Ein neuer Blick“, und der bietet sich zunächst einmal angesichts des riesigen, 650 Quadratmeter großen und wenigstens zehn Meter hohen Ausstellungssaals.

Das frühere Tonnengewölbe musste einer flachen Decke mit indirektem Kunstlicht weichen. Weil der Raum aber wohlproportioniert wirkt, vermisst man das Tonnengewölbe nicht wirklich. Dazu trägt die notwendigerweise verhängte, jedoch deutlich gegliederte Fensterfront bei und die jetzt verglasten, ehemaligen Kaiserlogen oben in der Wand. Wenn man dann, nach dem Blick in die reale Höhe, mit August Kreyenkamps Fotografie von 1930 virtuell „Von oben in den Chor des Kölner Doms“ blickt, meint man, dieses Vexierspiel trage durchaus zu einem besseren Verständnis der ausgestellten Fotografie wie auch des Saals bei, der erstmals in seiner architektonischen Neufassung durch das Büro Kahlfeldt gezeigt wird.

Bauten laufen nicht

Im Fotomuseum Berlin sind nun also wieder zwei Akteure zugange: Die weithin bekannte Helmut Newton Stiftung im Erdgeschoss und erster Etage – wo gerade das fotografische Werk gefeiert wird, das June Newton unter ihrem Künstlernamen Alice Springs aufnahm – und im obersten Stockwerk die Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek.

Die kunstwissenschaftliche Fachbibliothek von Weltrang ist auch ein Museum für die Geschichte des Grafikdesigns, der Architektur, der Medienkunst und – mit der Lipperheideschen Kostümbibliothek – vor allem der Mode. Schon frühzeitig wurde in der Kunstbibliothek auch Fotografie gesammelt und deshalb können die Staatlichen Museen mit der Kaisersaaleröffnungsschau das 100-jährige Jubiläum ihrer Fotoausstellungen feiern. Am 8. Mai 1910 hatte die Kunstbibliothek erstmals mit der Sammlung Juhl eine Schau zur „Geschichte der künstlerischen Fotografie“ gezeigt. Ebenfalls seinen 100. Geburtstag feiert der Kaisersaal, in dem einstmals die Offiziere der preußischen Landwehr in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. ihre Bälle feierten.

Schon stolze 150 Jahre lang tragen die verschiedenen Häuser der Staatlichen Museen fotografische Dokumente ihrer jeweiligen Fachgebiete zusammen, wie Antikenforschung, Ethnologie, Kunstgewerbe- oder Gemäldesammlung. Dass die Architekturfotografie in diesen Bildarchiven eine hervorragende Rolle spielt, verwundert nicht. Einerseits handelt es sich bei ihr um das älteste Genre des Mediums Fotografie – denn praktischerweise liefen die Bauten während der anfangs sehr langen Belichtungszeit nicht aus dem Bild –, und andererseits lassen sich Gebäude im Museum, wenn überhaupt, dann nur in fragmentierter Form ausstellen. Tatsächlich tritt die Fotografie meist vollständig an die Stelle der gemeinten Architektur.

„Ein neuer Blick“ möchte diese Bildarchive nun doch als eine Art kohärente Sammlung präsentieren. Die Ausstellung schlägt daher einen fotografiehistorisch motivierten Rundgang durch den chronologisch und topografisch geordneten Fundus vor und legitimiert damit gleichzeitig ihr Fortschreiten zu zeitgenössischen Fotoarbeiten etwa von Bernd und Hilla Becher, von Heidi Specker, Candia Höfer oder Thomas Ruff.

Freilich gelingt dieser neue, medienimmanente Blick nur in Ansätzen. Denn schon zu Beginn hapert es. Ein früher Schatz wie ihn etwa die im zentralistischen Frankreich 1851 in Auftrag gegebene „Mission héliographique“ darstellt, bei der die fünf Fotografen Edouard Baldus, Gustave le Grey, Mestral, Henri Le Secq und Hippolyte Bayard historische Monumente in ganz Frankreich dokumentierten und damit Fotogeschichte schrieben, fehlt der Fotosammlung. Frederick Henry Evans’ Foto einer „Open Door, Ely Cathedral“ ist zweifellos eine gelungene Aufnahme, die mehr eine sakrale Stimmung als einen sakralen Raum einfängt. Dem neuen, über das Dokumentarische hinaus reichenden kompositorischen Blick von Evans’ Architekturikone „Das Stufenmeer – Kathedrale von Wells“ kommt sie freilich nicht gleich.

Mediale Eigenständigkeit

Dennoch wäre es falsch, die Präsentation allein der historischen Wertschätzung anheimzustellen. Im 20. Jahrhundert gewinnen die Berliner Archive deutlich an fotografisch-medialem Gewicht. Vor allem der Gründungsdirektor der Kunstbibliothek, Peter Jessen, akquiriert auch in Hinblick auf die Bildsprache der Fotografen. Im Jahr 1913 erwirbt er beispielsweise 562 Aufnahmen des Bostoner Fotografen Frank Cousins, der ästhetisch für den Denkmalschutz zu werben sucht. Zehn Jahre zuvor hatte Jessen schon 137 Aufnahmen von Eugène Atget für die Kunstbibliothek angekauft – und damit, wie sich im Lauf der künstlerischen Aufwertung des Pariser Einzelgängers herausstellte, einen kleinen Schatz geborgen.

Mit Beginn des 20. Jahrhunderts stellen auch die Fotografen selbst auf einen medial eigenständigen Werkcharakter ihrer Architekturdokumentationen um. Dem Zeitstil entsprechend entwickeln sie eine perspektivenreiche, dynamische Bildsprache, in der antike Kapitelle genauso windschnittig-modern auftreten wie das Neue Bauen. Doch auch hier gilt: Der Nachlass maßgeblicher Protagonisten wie Walter Hege oder Albert Renger-Patzsch ist nicht unbedingt in Berlin konzentriert.

Gleiches stimmt für Heinrich Heidersberger, Werner Mantz, oder Arthur Köster (dessen Nachlass sich zwar in Berlin, dort aber in der Akademie der Künste befindet). Was aus den Bildarchiven der Staatlichen Museen zu Berlin für die Sammlung Fotografie wirklich zu holen ist, wird sich erst noch zeigen müssen. „Der Neue Blick“ trumpft erst einmal mit seinem stupenden Reichtum an einzelnen Bildern auf, weniger mit konzentrierten und verdichteten Konvoluten.

■ bis 5. September, Museum für Fotografie Berlin, Katalog (Wasmuth Verlag) 34,80 EUR