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Archiv-Artikel

Tausche Wohnung gegen Insel

Der Mann von der Intervention ist da: Christian Hasucha liebt den öffentlichen Raum, den er mit vagabundierenden Wohneinheiten bestückt. In Neukölln hat er eine Insel als Beitrag zur Projektreihe „Okkupation“ bezogen. Ein Porträt

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Verwechselt zu werden ist ihm gar nicht so unlieb. Wenn er anrückt mit seinem Werkzeug und irgendwo auf öffentlichen Plätzen beginnt, das Pflaster aufzubrechen und Gerüste aufzustellen, sollen die Leute ruhig denken, „was wohl die Wasserwerke schon wieder wollen?“. Und wenn sie sich dann ein bisschen aufregen über die Baustelle und nachfragen, dann hat Christian Hasucha seinen ersten Punkt gemacht: sich erst mal in die Normalität einfädeln. Um von dort allmählich abzudriften, Details herauszufiltern, Situationen zu zerlegen und neu zu collagieren.

Christian Hasucha (geboren 1955) ist nicht der Mann von den Wasserwerken, sondern ein Interventionist aus Neukölln. Den Begriff „Intervention“ bevorzugt er seit über 20 Jahren vor dem Begriff „Kunst“. Zum einen tatsächlich, um all die schnell aufgerufenen Bedeutungen und Ablehnungen zu umgehen, die „Kunst“ im Schlepptau hat; mehr aber noch, um den Prozess des Hineingehens in vorgefundene Situationen zu bezeichnen. Und wenn es ein wenig nach Militär, Bankwesen und Psychologie klingt, und in jedem Fall nicht ganz geheuer ist, was da geschieht, so passt das auch. Für die Zeit der Intervention im öffentlichen Raum nimmt sich der Künstler eine Verfügungsgewalt – und das fällt auf.

Zurzeit kann man Christian Hasucha morgens beim Frühstücken und Zeitungslesen sowie am Abend auf einem grasbewachsenen Hügel antreffen, der drei Meter hoch über dem Straßenpflaster neben dem Rathaus Neukölln schwebt. „Die Insel“ heißt die Skulptur, auf der er angemeldeten und unangemeldeten Besuch empfängt. Angemeldet hat sich eine Arbeitsgruppe und eine Zeltübernachtung, unangemeldet kommen fünf, sechs Kinder mit Decken und Picknicktüten, während unser Gespräch auf dem leicht schwankenden Hochsitz beginnt. Hasucha schmunzelt unter seiner Bastkappe: „Das Schwanken betont die Trennung. Ganz normal ist dieser Picknickplatz eben doch nicht. Man sitzt wie auf einem Beobachtungsposten und einem Präsentierteller“, sagt er.

Vor allem aber ist „Die Insel“ ein Stückchen auf die Straße getragene Privatheit. Wie ein vor die Haustür gestellter Stuhl, nur etwas programmatischer. Solche Wohnkanzeln und mobilen Loggien hat Hasucha schon oft aufgestellt. Für „Günters Fenster“ baute er 2000 die Fensternische seines Nachbarn nach, schaffte sie mit Günters Möbeln nach Mülheim an der Ruhr, und ließ Günter, der sonst auf nur in einen Hinterhof blicken kann, am neuen Ort auf eine Fußgängerzone schauen, solange er Lust hatte. Parallel zur grünen „Insel“ an der Donaustraße hat Hasucha die Vorstellung einer Wohnung auf einem See umgesetzt: der Nachbau einer Grundrissfläche aus einem Haus in Berlin-Steglitz, mit original Zimmerpflanzen, schwimmt zurzeit im Eschbach, Teil eines Kunstprojekts der „Regionale 2006“ in NRW.

Hasucha ist reisender Künstler, das bedingt schon die Teilnahme an vielen öffentlichen Kunstprojekten, die vor Ort ausgeführt werden. Er ist aber auch passionierter Neuköllner, der nach zehn Jahren in Köln zurückkehrte. 2001 hat Hasucha 2001 die „Areale Neukölln“ initiiert, die mit temporären Projekten im Stadtraum begannen. Jetzt wird die Reihe von „Okkupation Neukölln“ fortgesetzt.

Sein Atelier hat er heute wieder in der gleichen Remise wie schon zu Studentenzeiten, in einem Hinterhof der Karl-Marx-Straße, nun aber besser ausgebaut. Unten sind Holz- und Metallwerkstatt, und dass er vieles bauen kann, indem er etwa das stabile Geländer der „Insel“ selber gebogen hat, ist eine Voraussetzung der Finanzierbarkeit vieler Projekte. Aber er liebt das Handwerk auch, weil sich darüber ein Arbeitsethos vermitteln lässt, das der Anerkennung der Kunstprojekte nicht selten den Weg bahnt. Zum Beispiel beim Kreis der jungen Männer, die etwas unterbeschäftigt im Hof sitzen und gelegentlich als Hasuchas Assistenten tätig werden. Über den Werkstätten ist das Büro: Glastüren, die von einem abgerissenen Textilkaufhaus auf der Karl-Marx-Straße stammen, schützen Bücher und Gläser in Nischen der Backsteinwand.

Er blättert durch Skizzenbücher, voller Ideen, die „aus dem Kopf rausmüssen“, aber nicht alle nach Umsetzung verlangen. Ein Vorläufer der „Insel“ sieht da wie ein großes Bett aus, das im Schilf treibt. An einer alten Zeichenmaschine für Architekten entstehen fast immer die Entwürfe, die nicht nur die Funktion von Bauanleitung und Genehmigungsgrundlage haben, sondern auch ein ästhetischer Baustein seiner Arbeit sind. Sie tauchen in den vielen kleinen Heften, in denen Hasucha die ausgeführten Projekte nachträglich aufbereitet, neben den Fotografien wieder auf. Diese Publikationen sind als zweite Ebene wichtig, nicht nur, weil ein Teil der Projekte an entlegenen Orten realisiert wurde und alle temporär begrenzt sind, sondern auch, weil alle mit der Vorstellungskraft spielen, was sich für Geschichten ereignen könnten – auf dieser Saite zu spielen, daran ist Hasucha mindestens so viel gelegen wie an tatsächlichen Reaktionen: „Ich liebe auch Informationsstreuung und Gerüchtebildung“. Fernsehteams dagegen sagt er gelegentlich ab, denn „die stellen zu schnell das Gefühl her, die Sache sei verstanden“.

Er aber möchte lieber im Ungefähren bleiben und die „Labilisierung“ des Stadtraums vorantreiben: Das allmähliche Fremdwerden des Selbstverständlichen und Unhinterfragten. Das wird auch in den „Blickschleusen“ deutlich, Tafeln mit ausgeschnittenen Silhouetten, die Hasucha in kleinen Städten oder Landschaften aufgestellt hat. Der Umriss der Silhouette ist erst nur ein diffus geformtes Fenster, bis man im Vorübergehen genau den Standpunkt gefunden hat, aus dem ein Gegenstand, wie eine Bank auf dem Marktplatz, passgenau von der Form gerahmt wird. Umherschweifen und Fokussieren: Das ist der Rhythmus der Wahrnehmung, den man bei Hasucha wieder kennen lernt.

„Die Insel“, Donau-/Erkstraße, bis Ende Juli, Anmeldung unter 6 8212 18 oder mail@hasucha.de. Infos: www.okkupation.com und www.hasucha.de