: Marheinekehalle soll an den Markt
Die Berliner Großmarkt GmbH will die Kreuzberger Marheinekehalle sanieren. Händler fürchten teure Mieten, die Nachbarn haben Angst um den Charme des Klinkerbaus. Aber der Betreiber informiert nur zögerlich und bleibt Antworten schuldig
VON HANS W. KORFMANN
Zwei Tage bevor die Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg über das geplante Ärztehaus und Shoppingcenter anstelle eines beliebten Biergartens in der Bergmannstraße entscheiden wollte, klebten in den Hauseingängen des Kiezes, an Wänden und Sicherungskästen die Flugblätter mit der Aufschrift: Kein Klotz im Kiez. Über Nacht hatten Bürger in seltener Solidarität ihre Meinung kundgetan.
An die zweihundert Gegner des Projekts fanden sich am Tag der Entscheidung vor dem Rathaus ein, die taz widmete ihm eine komplette Seite – doch der Protest blieb erfolglos. Die Habel’sche Trinkhalle und die Kastanien aus dem 19. Jahrhundert stehen heute nicht mehr. Als wenige Tage nach der Niederlage das Gerücht von einem weiteren Umbau des Viertels immer lauter wurde, nutzten die alten Kreuzberger den frischen Wind in ihren Segeln, um Kurs auf ein neues Ziel zu nehmen: die Rettung der Markthalle am Marheinekeplatz.
Die schien dringend notwendig, denn während am Anfang nur von einer Sanierung die Rede gewesen war, sprach man inzwischen vom Bau einer Tiefgarage und der kompletten Entkernung der Halle mit ihren beliebten Käse- und Wurst-, Wein- und Gemüse, Tabak- und Trockenfruchthändlern. Die Angst vor den anrückenden Truppen feindlicher Großmärkte wuchs, und es dauerte nicht lange, da fantasierte man bereits – verstärkt durch das beharrliche Schweigen des Markthallenbetreibers – von einer „Gokartbahn und einem Spaßbad“.
„Nichts davon sei wahr“, sprach Andreas Foidl von der Berliner Großmarkt GmbH, als er sich am 25. April vor 800 Kreuzberger Bürgern in der Passionskirche wiederfand. Er hatte mit einem überschaubaren Haufen Kreuzberger Altachtundsechziger gerechnet und musste zugeben, dass er offensichtlich „die Betroffenheit der Bürger unterschätzt habe!“
„Die Veranstaltung in der Passionskirche war der Durchbruch!“, sagt Klaus Brünger, Abgeordneter der Hallenhändler. Schon in der Kirche hatte Foidl sich bereit erklärt, die Händler in die weitere Planung mit einzubeziehen. Tatsächlich traf er sich mehrmals mit Händlern und Mieterrat und erörterte die geplanten Sanierungsmaßnahmen: eine neue Beleuchtung und Belüftung, einen neuer Bodenbelag sowie die komplette Sanierung der Keller- und Lagerräumlichkeiten.
Über das Gesamtkonzept jedoch, das aufgrund von Umfragen unter der Bevölkerung sowie unter den Händlern angefertigt werden und dem angeblich antiquierten Geist der Halle Rechnung tragen sollte, herrschte weiterhin Stillschweigen. Erst am 7. Juli wolle man erste Pläne auf den Tisch legen.
Die Kreuzberger fügten sich. Sie griffen nicht zu Transparenten und Pflastersteinen, wie sie es früher getan hätten, wenn ein Unternehmer in einer Kirche gesagt hätte: „Eine Verlängerung aller Mietverhältnisse nach der Renovierung kann ich nicht garantieren!“ Denn es war schon klar geworden, dass das neue Konzept eine Sortierung des Angebots und eine Steigerung der Rentabilität vorsah. Allein aus Liebe zu den Kreuzbergern würde die Berliner Großmarkt GmbH keinen siebenstelligen Betrag in ein einstöckiges Klinkergebäude investieren.
Ganz tatenlos aber blieben die Kreuzberger nicht. Im Gegenteil: Unter dem Motto „Kiezkultur statt Leerstand“ organisierten Constanze Roséno, Edith Siepmann und Jan Aleith ein zweimonatiges Kulturprogramm. Getragen von einer Welle der Solidarität traten zahlreiche Künstler in der Marheinekehalle auf, es spielten Musiker wie Hans Hartmann, Joe Kucera und Peter Subway bei den Obstverkäufern, Hattie St. John und Kat Baloun traten auf die improvisierte Bühne vor den Kartoffeln und Blumenkohlköpfen auf. Ausstellungen wurden eröffnet, das Thikwa Theater bespielte die Gemüsehalle.
Auch die technische Ausstattung kam von Sympathisanten. Das HAU und der Wasserturm sponserten Equipment, „Lichtblick“ und „Lichthaberei“ kümmerten sich um Ton und Licht, ein Kreuzberger Klavierbauer stellte einen Flügel zur Verfügung. Die Kreuzberger konnten stolz darauf sein, in so kurzer Zeit ein Programm auf die Beine gestellt zu haben, von dem man viel sprach. Auch Foidl von der Großmarkt GmbH unterstützte das Programm finanziell und fragte schon vor Wochen an, ob Jam Aleith das Projekt auch nach dem 7. Juli fortsetzen würde. Aleith erbat sich Bedenkzeit.
Denn auch während der Zeit des Waffenstillstands und der gemeinsamen Gespräche ließ sich die Berliner Großmarkt GmbH, ein zu 100 Prozent dem Land gehörendes Unternehmen, nicht in die Karten gucken. Von der vereinbarten Beteiligung der Händler und Bürger konnte nicht wirklich die Rede sein. Die Betroffenen wurden nur an den Tisch gelassen, solange am Tisch geschwiegen wurde. Was tatsächlich geplant wurde, wusste niemand.
Bis der 7. Juni kam. Da wussten es plötzlich alle. Schon am Vorabend hatte Foidl den Händlern plötzlich und exakt einen Monat vor dem angekündigten Datum – als hätte er sich im Monat geirrt – ein fertiges Konzept auf den Tisch gelegt. Noch in derselben Nacht hatte er diesen Entwurf an dem gemeinsam mit dem Mieterrat eingerichteten Informationsstand auf- und deren Ankündigungen kurzerhand abgehängt. Ohne den Mieterrat zu informieren.
Die Presse allerdings war informiert, der Tagesspiegel trumpfte mit einem fertigen Artikel über das Konzept der Halle auf, und im Radio plapperte ein Nachrichtensprecher den ganzen Morgen über vom neuen Gesicht der Halle. Foidl hatte die Karten aufgedeckt. Keine falschen Karten, doch zu einem falschen Zeitpunkt und gegen die verabredeten Regeln. Er hatte, inmitten des Waffenstillstandes, einen Überraschungsangriff ausgeführt. Vielleicht hatte er befürchtet, dass die zweimonatige Ruhe mit musikalischen Einlagen und töpfernden Kindern eine trügerische Ruhe sein könnte. Die Ruhe vor dem Sturm.
Seine Vorabpräsentation sorgte für Verwirrung. Diskussionen zwischen jenen Händlern, die vom neuen Konzept profitieren könnten, und jenen, die Nachteile sahen, waren die Folge, und wo anfangs gemeinsam an einem Strick gezogen wurde, zog man nun bereits an zwei Enden.
Im Mieterrat war man sich zwar auch nach dem 7. Juni noch grundsätzlich darüber einig, dass eine Tiefgarage und die „Verlängerung der Fressmeile“ kein Thema sei. Doch Christoph Schulz hat seine Rolle als Sprecher des Mieterrates niedergelegt. Was zumindest bei Foidl eine ganz besondere „Erleichterung“ ausgelöst haben soll. So kommt Foidl voran. Und lässt, um keine neuerliche Allianz von Händlern, Bürgern und Mieterratsvertretern zu provozieren, scheibchenweise und in kleinen, gut verdaulichen Portionen die Katze aus dem Sack.
Am Montag erst verkündete er den letzten Stand der Dinge. Doch die große Aufregung blieb ebenso aus wie die großen Neuigkeiten. Im Januar werde mit dem Umbau begonnen. 4,5 Millionen Euro werde das Unternehmen investieren. Dabei „machen wir diese Sanierung für die Händler, das will ich hier noch einmal ganz deutlich betonen“. Mit der Gastronomiezeile auf der Südseite suche man eine stärkere Einbindung der Markthalle in die florierende Bergmannstraße, „in der man heute auch mal 35 Euro für ein Essen ausgeben kann. Das war vor einigen Jahren noch nicht so.“ Sagt Andreas Foidl ganz ungeniert. Denn er weiß, dass auch die Händler finanzkräftige Kunden brauchen.
Kein Wunder also, dass sich die Händler mehrheitlich für die Tiefgarage aussprechen. Und dass auch die achtmonatige Verlegung der Stände in ein „Containerdorf“ vor der Halle keinen großen Widerstand erregt. Das neue Konzept vom „Erlebnismarktplatz“ und Veranstaltungsort zwischen Gemüseständen und Sockenverkäufern werde dennoch weiter diskutiert werden, versichert Foidl. Man müsse sich „dem demokratischen Prozess unterwerfen“.
Und Gerüchte, hier werde „hinter dem Rücken der Händler entschieden“, seien unsinnig. Man wolle alle Entscheidungen transparent machen. Die Aufsehen erregende Skizze, die kürzlich in der Halle kursiert sein soll und aus der jene Händler ersichtlich zu werden schienen, deren Geschäfte nicht ins neue Konzept passten, käme jedenfalls nicht von den beauftragten Architekten, sondern sei von subversiven Kräften in Umlauf gebracht worden.
Andererseits hat Foidl schon in der Kirche gesagt, dass nicht alle Händler übernommen werden können. Jetzt spricht er vom „Anforderungsprofil“ und konkretisiert, dass die Händler Investitionsbereitschaft mitbringen müssen, sich an die Öffnungszeiten zu halten hätten, vielleicht auch samstags bis acht Uhr öffnen müssten. „Leere Stände schaden dem Image.“ Foidl spricht von „mehr Disziplin“ und erwähnt Kündigungen für jene, die sich nicht an die Ordnung halten.
Denjenigen aber, die sich einordnen, stellt er jene längerfristigen Mietverträge in Aussicht, auf die viele von ihnen schon seit Jahren warten. Die Sprache des Andreas Foidl ist deutlich. Er gibt den Ton an. Doch bleiben am Ende Fragen. Konkrete Antworten kann der Vertreter der Berliner Markthallen GmbH oft nicht geben. „Das werden wir dann in den Einzelgesprächen klären“, sagt er. Für diese Gespräche hat er einige Zeit veranschlagt, bis Ende September sollen sie dauern. Allerdings werden diese entscheidenden Gespräche wohl eher unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.