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Archiv-Artikel

SPD geht auf Nummer sicher

KOALITION Innensenator Henkel ist nach der gescheiterten Räumung des Oranienplatzes angeschlagen. Jetzt fordert der Koalitionspartner SPD eine „Innenpolitik mit Augenmaß“

Nicht jede Situation könne man „mit einem harten Durchgreifen beenden“

VON STEFAN ALBERTI UND BERT SCHULZ

Innensenator Frank Henkel (CDU) war der klare Verlierer des rot-schwarzen Krisengesprächs zum Thema Oranienplatz vor knapp zwei Wochen. Jetzt legt der Koalitionspartner SPD nach: Im Vorfeld ihrer Fraktionsklausur setzt sich Fraktionschef Raed Saleh im taz-Interview für eine „Innenpolitik mit Augenmaß“ ein. Das sei „das Entscheidende in einer liberalen Stadt wie Berlin“. Nicht jede Situation könne man „mit einem harten Durchgreifen beenden“, so Saleh weiter – eine klare Anspielung auf Henkels Wunsch, die Reste des Flüchtlingscamps auf dem Kreuzberger Oranienplatz rasch zu räumen.

Damit ist Henkel bereits zweimal gescheitert. Das erste Räumungsultimatum Mitte Dezember verpuffte, weil Henkel nicht die Frist einhielt, nach der der Senat die Entscheidung dem Bezirk entziehen konnte. Beim zweiten Versuch Anfang Januar legte die SPD ihr Veto ein: weil Henkel als Grund für die Räumung geltend gemacht hatte, dass die Besetzung das Grünflächengesetz verletze, musste vorab Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) zustimmen. Der aber lehnte ab – angeblich, weil es um Menschen gehe, nicht um Grashalme. Die CDU berief daraufhin den Koalitionsausschuss ein, ein Gremium für Krisensituationen. Dessen Ergebnis: Erst mal wird weiter geredet, unter Federführung von Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD), und zwar ohne Ultimatum. Von Räumung ist nun keine Rede mehr.

Diese Linie verteidigt Saleh gegenüber der taz. „Wenn man Gespräche beginnt, muss man sie mit der Hoffnung beginnen, dass sie erfolgreich sein werden und die Ergebnisse abwarten. Da darf man nicht gleich eine Eskalationsstrategie im Hinterkopf haben.“ Der SPD-Fraktionschef stellte klar, dass seine Äußerungen keine „Distanzierungen vom Koalitionspartner“ seien. Die Koalition laufe gut, doch sei „klar, dass zwei Parteien zu einem Thema durchaus unterschiedliche Positionen haben“.

Saleh äußerte sich im Vorfeld der SPD-Fraktionsklausur, die sich am Wochenende in Braunschweig mit dem Thema Innere Sicherheit beschäftigen wird – dafür ist im Senat die CDU zuständig. Das Thema stand zwar bereits seit Herbst fest, wird aber nun von der aktuellen Entwicklung am Oranienplatz überlagert.

Zumal der Innensenator offenbar eine neue Taktik verfolgt, um doch noch in die Belange des Bezirks eingreifen zu können. Seit einigen Tagen berichten konservative Medien verstärkt und umfassend über das Auftreten von Ratten im Flüchtlingscamp. Das ist keine brandneue Problematik: Das bezirkliche Gesundheitsamt hatte im Dezember geraten, bei Tätigkeiten im Camp Handschuhe, festes Schuhwerk und gegebenenfalls sogar Atemschutz zu tragen – aufgrund der Krankheitserreger, die von Ratten dort übertragen werden könnten.

Gut möglich also, dass Henkel das nächste Räumungsultimatum mit hygienischen Problemen begründet – dafür bräuchte er im Senat wohl nur die Unterschrift von Gesundheits- und Sozialsenator Mario Czaja. Der gehört der CDU an.

Außerdem hat Henkel vor Parteifreunden den 31. März als Stichtag für eine endgültige Lösung der Situation am Oranienplatz ausgegeben. Dann läuft die Kältehilfe aus, die seit Ende November die Unterkunft früherer O-Platz-Flüchtlinge bei der Caritas im Wedding finanziert. Bis Ende Januar befristet ist auch das Wohnrecht jener Flüchtlingsgruppe, die im Oktober am Brandenburger Tor im Hungerstreik war. Eskaliert die Situation, wäre das zudem für die linksautonome Szene ein willkommener Anlass zur Mobilisierung am 1. Mai.

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