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Archiv-Artikel

Glückliches Bayern, armes Baden-Württemberg

BUNDESLÄNDER Die Hürden für Bürgerbegehren und Plebiszite sind in Deutschland unterschiedlich hoch

BERLIN taz | In Deutschland sind – anders als in den USA und der Schweiz – von den Bürgern initiierte Volksentscheide auf Bundesebene nicht möglich. Volksentscheide können aber in mittlerweile allen Bundesländern oder auf kommunaler Ebene („Bürgerentscheid“) stattfinden. Die Anzahl der Volksentscheide und Volksinitiativen, das sind unverbindliche Volkspetitionen, ist dabei auf Länderebene seit den Neunzigerjahren rasant angestiegen: Wurden zwischen 1946 und 1989 nur 28 solcher Verfahren initiiert, gab es zwischen 1990 und 2009 schon 252. Auch führende Staats- und Verfassungsrechtler sehen Volksentscheide seit mehreren Jahren deutlich positiver.

Direkte Demokratie von unten besteht aus mehreren Stufen. Bevor es zum eigentlichen Volksentscheid kommt, müssen die Bürger den Antrag auf ein Volksbegehren mit einer ausreichenden Anzahl von Unterschriften unterstützen („Unterschriftenquorum“). Erst wenn genügend Bürger zusammengetrommelt worden sind – der nötige Prozentsatz variiert in den Ländern von 4 bis 20 Prozent der Wahlberechtigten –, gelangt das Volksbegehren zur letzten Stufe, dem Volksentscheid. Auch beim Volksentscheid variiert je nach Bundesland die notwendige Anzahl von Stimmen („Zustimmungsquorum“). Entscheidend ist zudem, ob über ein einfaches Gesetz oder eine Verfassungsänderung abgestimmt wird. Für Letzteres ist in den meisten Bundesländern ein Zustimmungsquorum von 50 Prozent nötig, vielfach muss auch noch eine Zweidrittelmehrheit erreicht werden.

In Hessen oder dem Saarland sind Verfassungsänderungen per Volksentscheid nicht möglich. Die Bundesländer gehören, zusammen mit Baden-Württemberg auch zu denjenigen, die den Bürgern die höchsten Hürden auf dem Weg zu einem Volksentscheid aufbauen. Das geschieht über hohe Unterschriftenquoren von 16 beziehungsweise 20 Prozent, einer nur 14-tägigen Frist zur Unterschriftensammlung für ein Volksbegehren oder auch darüber, dass Unterschriften ausschließlich auf dem Amt geleistet werden dürfen. Die Folge: In Baden-Württemberg und Saarland fand noch kein einziges Volksbegehren statt.

Auf der anderen Seite stehen Bundesländer mit bürgerfreundlicheren Regelungen: unter anderem Hamburg, Schleswig-Holstein, Berlin oder Bayern. In Bayern fanden bisher auch die meisten Volksbegehren und -entscheide statt. Abstimmen darf das Volk über alles mögliche, von der Bildung bis zur Stadtplanung. Entscheidungen über Finanzfragen (Haushalt, Steuern) sind jedoch nicht möglich („Finanztabu“). Obwohl in den USA und der Schweiz damit im Sinne von Ausgabendeckelung und Haushaltsdisziplin positive Erfahrungen gemacht wurden.

In den meisten Bundesländern sind Volksentscheide so haltbar wie ein parlamentarischer Beschluss – sie können auch wieder rückgängig gemacht werden. EVA VÖLPEL