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Archiv-Artikel

Forza Forsa

Wie man arme, hustende Meinungsforscher am Telefon glücklich macht

Der Herr von Forsa zählt zehn Käsesorten auf und will wissen, ob ich die kenne

Träume sehen so aus: Mit dem nagelneuen Auto gerät man in eine Mausefalle und muss ins Röhrchen pusten, weiß aber nach einem Abend ohne Alkohol siegesgewiss: Nix is! Das Leben sieht leider anders aus. In der Regel pfeift die Karre aus dem letzten Loch, und außerdem hat man gerade drei Weizen getrunken. Da hilft meistens nur noch lügen und ein Kaugummi. So wie neulich am Telefon bei einer etwas anderen Art von Kontrolle: „Guten Abend, Forsa, das Meinungsforschungsinstitut, haben Sie einen Moment Zeit für ein paar Fragen?“ Kurze Überlegung. Der arme Mann macht nur seinen Job, wird womöglich nach Erfolg bezahlt – und einen Moment Zeit? Es sind sowieso alle aus dem Haus. „Wenn es nicht so lange dauert, na gut.“ Der Mann mit sächsischem Akzent räuspert sich.

Und schon geht es los. Zunächst zur Politik. Wie ich mit Angela Merkel zufrieden bin? Ob ich mit der Gesundheitsreform zufrieden bin? Ob ich mit der Regierung zufrieden bin? Die Fragen kommen zack, zack. Da ich mich weder intensiv mit der Gesundheitsreform noch mit Angies Schattenpolitik in letzter Zeit beschäftigt habe, fange ich an, meine Meinung gerecht zu verteilen. Ein „mäßig zufrieden“ für Angie, weil sie eine Frau ist, ein „sehr unzufrieden“ mit der Gesundheitsreform, weil das doch alle sind. So plätschern die Forsa-Fragen munter daher. Ein Ja hier, ein Nein dort, das macht Spaß. Was ich wählen würde am nächsten Sonntag? Mir fällt das Pfand für Aludosen ein, und ich sage: „Die Grünen.“ Beck oder Merkel? Bloß nicht den dicken Elektriker aus der Pfalz, dann lieber die Pfarrerstochter. Aber was macht die eigentlich? Und Beck könnte als Kanzlerkandidat ja auch eine Diät machen? Zu spät. Ob die Koalition hält? Keine Ahnung, ich sage Ja, weil ich vorher Nein gesagt habe.

Als wir beim Thema WM anlangen, bin ich froh, wieder festes Terrain zu betreten. Klar war ich zufrieden mit der WM, Note eins! Tolle Fernsehfeste im Hof mit viel Freunden, Bier und einer Leinwand, die zweimal die Zuschauer unter sich begrub, nur mich nicht. Klar wollte ich, dass Klinsi bleibt, und ob ich zugenommen habe während der WM? „Wegen der vielen Knabbereien, Sie wissen schon“, druckst der Forsa-Mann ein bisschen verlegen hüstelnd. „Nein!“, antworte ich aus dem Stegreif, auch wenn ich mich erst vor ein paar Tagen über den Bauchansatz gewundert habe, der sich plötzlich zeigt. Das WM-Bier!

Doch der gute Mann ist schon eine Frage weiter. Welche Käsesorte mir spontan einfalle. Prompt fällt mir überhaupt keine ein, und ich beginne nervös zu überlegen. Ein dunkles Gedankenloch, ein Blackout hat mich erwischt. Ich stecke mir schnell einen Kaugummi in den Mund. So müssen sich Kandidaten bei der Eine-Million-Euro-Frage fühlen, wenn Günther Jauch ungeduldig auf seinem knöchernen Hintern hin und her rutscht. „Roquefort!“, rufe ich endlich in den Hörer. Keiner applaudiert, aber ich bin dennoch erleichtert. Wie bin ich bloß auf Roquefort gekommen, den essen wir nicht einmal im Urlaub? Der Herr von Forsa zählt zehn Käsesorten auf und will wissen, ob ich die kenne. Ich antworte lässig, denn ich kenne zwar kaum eine von ihnen, aber heute ist Käse mein Fachgebiet.

Danach kommen Fragen zu meinen Fernsehgewohnheiten. Ich frage mich allerdings, ob Forsa wohl mit der GEZ zusammenarbeitet und mir die GEZ-Spione wieder auf den Hals hetzen wird. So wie neulich während der WM, als der GEZ-Kontrolleur bei der Übertragung eines Spiels wild am Türgriff rüttelte, weil er das Schiedsrichterpfeifen hören konnte. Das hat meinen Kindern ziemlich Angst gemacht.

„Und nun zu Ihren Familienverhältnissen“, schnarrt es aus dem Telefon. Meine Antwort geht in seinem Hustenanfall unter. Wie viele Personen in unseren Haushalt leben würden? „Vier“, sage ich spontan, und im nächsten Augenblick wird mir klar, dass das gar nicht stimmt. Seit einem Jahr sind wir nur noch zu dritt. Doch wir sind schon wieder weiter. Es geht ums Einkommen, und ich überlege, wie viel Geld wir eigentlich …? Ungefähr? Ich schiebe mir großzügig 500 Euro dazu, das muss reichen.

Der Mann am Telefon hustet wieder lautstark, wahrscheinlich ist er ein kranker Mittfünfziger, der im Callcenter versucht das Geld für die dringend benötigte Krebsoperation seiner Frau zu verdienen. Vom vielen Rauchen hat er gewiss ganz gelbe Zähne und diesen schrecklichen Raucherhusten. Mein Akku piept jetzt, die Zeit drängt nun doch. „Wie viele Zimmer haben Sie?“, fragt der Meinungsforscher noch mit fast ersterbender Stimme. Er klingt, als ob von dieser letzten aller Fragen sein Seelenheil abhängt. Fünf, sage ich und bin froh, dass es wieder nicht stimmt. Hauptsache, ich habe den armen Mann glücklich gemacht. CHRISTINE BERGER