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Archiv-Artikel

Jahrmarkt der Wissenschaften

In München steht in den nächsten Tagen die Wissenschaft im Vordergrund. Auf dem Wissenschaftssommer 2006 suchen Forscher die Öffentlichkeit

Das Alphabet verkehrt herum aufsagen, wer kann das schon. Klar, Z, Y, X, aber dann? Im WV fahren sie mit der UTe, auf der Rückbank sitzen Siegfried und Roy, die einen QuPON gegen eine MiLKa tauschen und daraufhin rufen: Jesus Im Himmel! Worauf es von oben erschallt: Gott Fährt Einen Diesel! Solche und andere Lösungen auf humorvolle, aber auch wirklich schwierige Fragen gibt es ab morgen in München. Fünf Tage lang wird die bayerische Landeshauptstadt dann Zentrum der europäischen Wissenschaft sein, mit dabei das kuriose Think Theatre, das sich die oben stehende Eselsbrücke ausgedacht hat, aber auch akademische Schwergewichte wie das Magazin Nature oder die Technische Universität München. In einer bislang einzigartigen Konstellation treffen dabei Alltag und ganz normale Menschen auf den europäischen High-End-Wissenschaftsbetrieb samt seinen Protagonisten.

Möglich wird das durch das Zusammenlegen von zwei hochkarätigen Veranstaltungen: Den Normalsterblichen werden beim Wissenschaftssommer des Bundesbildungsministeriums faszinierende Neuigkeiten erklärt, die von den teilnehmenden Wissenschaftsbetrieben entdeckt wurden – darunter über ein Dutzend Max-Planck-Institute, die Leibnizgemeinschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft. An manchmal ganz banalen Standorten – wie dem Theater Drehleier oder dem Mathäser-Kino – präsentieren Wissenschaftler aus ganz Deutschland den interessierten Laien Roboterfußballspiele, 3-D-Fernsehen oder Diskussionen zur „Darwinschen Fitness“. „Wir wollen jeden interessierten Menschen erreichen“, erklärt Wolfgang Heckl das Konzept.

Der Direktor des Deutschen Museums und Lehrstuhlinhaber für Nanobiotechnolgie an der Ludwig-Maximilians-Universität stellt dabei auch klar, dass es nicht nur um eine faszinierende Show gehen soll. „Jeder soll sehen und mitentscheiden, wohin die Reise geht. Das ist immer ein wichtiger Bestandteil in einer Demokratie, derzeit leben wir aber mehr in einem wissenschaftlichen Analphabetismus.“

Aber auch die Reiseunternehmer, die Wissenschaftler selbst, kommen in München zum hochkarätigen Austausch zusammen: Auf dem zeitgleich stattfindenden Euroscience Open Forum (ESOF) werden über 1.000 Forscher aller Disziplinen aus ganz Europa miteinander diskutieren, darunter Nobelpreisträger wie Theodor Hänsch, Robert Huber oder Linda Buck. Die Themen hier: „Living in the fast lane: can the biological clock keep up?“ oder „Autism: was it in Rainman’s genes?“ Zwar gibt es auch bei dieser fünftägigen Veranstaltung einen Science-Biergarten und auch die meisten der 70 Veranstaltungen des ESOF klingen mehr nach interessanter Unterhaltung als nach ernsthafter Diskussion – aber das ist durchaus beabsichtigt: „Wir wollen die Leute bewusst in die Stadtmitte bringen, in the middle of understanding of science“, so der Nanotechnologe Heckl, der als umtriebiger Wissenschaftspromoter auch dem ESOF-Lenkungsausschuss vorsitzt. „Es sollen Diskussionen auf akademischen Level sein, aber nicht nach dem üblichen Motto: Ich lade meine Wissenschaftsfreunde in einen Konferenzraum und dann unterhalten wir uns in unserer Fachsprache.“ Denn das ESOF hat alle Disziplinen im Blick – von den Natur- bis zu den Sozialwissenschaften – und so soll auch der fachliche Laie mitdenken können und dabei bestenfalls Anregungen für sein Arbeitsgebiet bekommen.

Vorbild dieser Tagung ist der US-amerikanische Wissenschaftskongress AAAS, und als sein europäisches Pendant ESOF vor zwei Jahren das erste Mal tagte, damals in Stockholm, beschwerten sich im Magazin Science hernach unter der Überschrift „Europe Clones U. S. Science Festival“ einige Teilnehmer über die allzu starke Fokussierung auf politische Themen. Das Thema will ESOF-Chef Heckel dieses Jahr auch aufgreifen, „aber von der anderen Seite: Ich werde Horst Köhler fragen: Was erwartet denn die Politik von der Wissenschaft?“ Und auch auf andere Kritikpunkte – zu wenig junge Teilnehmer, zu wenig südosteuropäische Teilnehmer – haben die Veranstalter laut Heckel reagiert. In diesem Jahr wird es eine Recruiting-Messe für Nachwuchswissenschaftler geben, billige Tickets (58 Euro) für Wissenschaftler unter 33 Jahren samt Pennplätzen, und auch Wissenschaftsjournalisten aus Entwicklungsländern bekommen finanzielle Unterstützung.

MAX HÄGLER

Infos: www.esof2006.org, www.wissenschaftssommer2006.de