: „Meinhof war nicht mutterfähig“
Publizistin Bettina Röhl über pädophile Übergriffe ihres Vaters Klaus Rainer Röhl und den Versuch, durch deren „Instrumentalisierung“ der RAF-Gründerin Ulrike Meinhof „einen mütterlichen Heiligenschein aufzusetzen“
■ 47, ist Buchautorin und Publizistin. Sie lebt in Hamburg. Röhl und ihre Zwillingsschwester waren im Mai 1970 als Siebenjährige von Mitgliedern der RAF für vier Monate nach Sizilien verschleppt worden. Im Auftrag ihrer Mutter, der zu dieser Zeit steckbrieflich gesuchten RAF-Gründerin Ulrike Meinhof; aus der Obhut des Vaters Klaus Rainer Röhl, der zu der Zeit das einstweilige Sorgerecht hatte. Nach ihrer Befreiung wuchs Bettina Röhl bei ihrem Vater in Hamburg auf.
INTERVIEW PETER UNFRIED
taz: Im Stern hat Ihre sieben Jahre ältere Halbschwester Anja Röhl einen Missbrauch durch Ihren gemeinsamen Vater Klaus Rainer Röhl beschrieben. In diesem Zusammenhang sehen Sie sich unfreiwillig als Missbrauchsopfer geoutet, Frau Röhl.
Bettina Röhl: Nach der Stern-Geschichte standen meine Zwillingsschwester und ich in der Tat unter einer Art Generalverdacht, als Kleinkinder Opfer sexuellen Missbrauchs durch Klaus Rainer Röhl geworden zu sein. Eine Reihe von Medien, auch die taz, riefen mich an. Sie unterstellten im Prinzip, dass die Anja Röhl’sche Andeutung, ich sei als kleines Kind missbraucht worden, zuträfe und es ergo nur noch um eine Bestätigung meinerseits gehen könne, und das mal eben so en passant. Was für eine perverse Situation!
Wie haben Sie reagiert?
Ich habe mich am nächsten Tag in der FR entschieden gegen ein falsches Outing meiner Person als Missbrauchsopfer zur Wehr gesetzt. Trotz meiner klaren Worte wurde ich von den Medien angegangen, als hätte ich etwas verschwiegen, das zu berichten auch noch meine Pflicht gewesen wäre. Nehmen Sie den vollkommen entgleisten Artikel in der WamS vom 9. Mai 2010, der mir unverhohlen vorwarf, nicht unmittelbar nach den Veröffentlichungen von Anja Röhl mein gesamtes Intimleben als Kind der Öffentlichkeit präsentiert zu haben. Normal ist das ja wohl nicht, dass Medien Opfer ungefragt in die Öffentlichkeit zerren, wie es mir jetzt passiert ist.
Sie haben dann in einem Vier-Seiten-Essay im Spiegel den pädophilen Missbrauch durch Ihren Vater beschrieben. Er sei allerdings erst ab 1970 passiert. War das keine Bestätigung?
Ich habe gar nichts bestätigt. Ich habe die abenteuerlichen Storys, die Anja Röhl im Stern und die Ditfurth in der taz, Berliner Zeitung, Spiegel online und so weiter über meine Person zusammenfantasiert haben, dementiert und ich habe die tatsächlichen pädophilen Übergriffe Klaus Rainer Röhls gegen meine Person benannt, die erst zwischen 1970 bis 1973 stattgefunden haben. Entgegen den suggestiven Unterstellungen meiner Halbschwester und Jutta Ditfurths bin ich in dem Zeitraum, über den die beiden Damen sich äußern, nämlich von 1962 bis 1970, also im Alter von null bis sieben Jahren, zu keinem Zeitpunkt von Klaus Röhl wie auch immer sexuell motiviert belästigt worden. Ich wurde nicht, wie behauptet, „auferotisiert“ oder „sexualisiert“, ich wurde nicht „geschlagen“. RAF-Sympathisanten wollten mir, als Opfer, einen Missbrauch durch Klaus Röhl anhängen, der nicht geschehen ist, und das alles, um eine viermonatige Verschleppung meiner Person durch die RAF nach Sizilien 40 Jahre später zu entkriminalisieren und Meinhof nachträglich mit einem mütterlichen Heiligenschein zu versehen.
Warum ist der Zeitpunkt so wichtig?
Warum ist die Realität wichtig? Ich halte Klaus Röhl für ziemlich pädophil. Aber ich habe ihn so erlebt, dass er erst seit 1970, als meine Schwester und ich aus der sizilianischen Gefangenschaft durch die RAF nach Hamburg zurückkehrten, im Zuge der sogenannten sexuellen Revolution sein Leben mit pädophilen Schwärmereien und äußerlich sanft anmutenden pädophilen Übergriffen „bereichern“ wollte. Und das alles gedeckt durch den Zeitgeist, den er als Herausgeber der Zeitschrift Konkret und später der Zeitschrift Das da und einiger Sexblätter mit geweckt hatte. Pädophilie wurde damals ja in linken Kreisen und von „modernen“ Wissenschaftlern als gut für die Erwachsenen und gut für die Kinder enttabuisiert, wie es genannt wurde. Zudem befand sich mein Vater seit 1970 in einem Ausnahmezustand. Er lebte das erste Mal allein, ohne Frau, und die Ex befand sich auch noch lautstark im Untergrund …
… Ulrike Meinhof, Gründungsmitglied der linksterroristischen RAF.
In meinem Fall war das Verhalten meines Vaters besonders verwerflich, weil er die Situation ausnutzte, dass keine Mutter im Haus war, und auch wusste, dass ich durch diese Mutter schon genug belastet war, die zu dieser Zeit als verteufelte und gleichzeitig angehimmelte linke Terroristin Furore machte. Ausgerechnet in dieser Situation sollte ich für Klaus Röhl eine Art Ersatz-Ulrike sein und die Lücke an seiner Seite füllen? Es ist ja nicht so, wie Anja Röhl es offenbar vorführen möchte, dass ein pädophiler Vater blindwütig jede Tochter angreift.
Anja Röhl ist die Stieftochter Ulrike Meinhofs und hat die Dinge in Ihrer Familie anders wahrgenommen.
Anja Röhl lebte bei ihrer eigenen, von Klaus Röhl geschiedenen Mutter Bruni Röhl und war nur höchst selten bei uns zu Hause auf einen kurzen Vaterbesuch. Da hat sie gar nichts mitbekommen. Aber schön, dass Sie Meinhofs „Stieftochter“ sagen. Das war sie zu keinem Zeitpunkt. Als Ulrike Meinhof im Gefängnis saß, durfte sie nur von engen Verwandten Besuch bekommen. Und da haben wendige RAF-Anwälte aus Anja Röhl eine „Stieftochter“ konstruiert, um der glühenden Meinhof-Anhängerin eine Besuchsmöglichkeit zu verschaffen.
Sie glauben Anja Röhls Geschichte im Stern nicht?
ANJA RÖHL IM „STERN“ AM 5. MAI 2010
Nein, überwiegend und aus unterschiedlichen Gründen nicht. Anja Röhl hat unter ihrem Vater sicher besonders gelitten, gerade weil er sie ziemlich unverblümt ablehnte. Es gab auch Unterhaltsstreitigkeiten. Das hat aber nichts mit sexuellem Missbrauch zu tun. Sie behauptet, zwischen 1960 bis 1969 dreimal sexuelle Übergriffe ihres Vaters erlebt zu haben, und dann wird ihre Geschichte im Stern aber mit Titelbildern von Das da, Sprit und Konkret aus den Jahren zwischen 1970 und1973 garniert, die mit ihrer Geschichte gerade nichts zu tun haben.
Ihre Halbschwester schreibt, es gehe darum, die Pädophilie der Linken in der Folge von 1968 aufzuarbeiten.
Bei den Veröffentlichungen von Anja Röhl und Jutta Ditfurth handelt es sich um eine exzessiv linkspolitische Kampagne. Diese beiden Damen verfolgen, für den Blindesten sichtbar, das Ziel, Mutter Meinhof zu einer Retterin ihrer Kinder aus den Fängen eines bösartigen Vaters umzufunktionieren. Die gute Meinhof, die gute RAF, die sich um die Kinder sorgten und meine Schwester und mich sogar in ein palästinensisches Waisenlager bringen wollten, um uns vor dem pädophilen Vater zu retten.
Sie sagen, dass Röhl Ihnen gegenüber erst danach pädophil übergriffig wurde.
Ja. Deshalb lässt sich die reale Pädophilie-Geschichte, die ich mit Klaus Röhl erlebt habe, nicht in die Richtung instrumentalisieren, wie Ditfurth es jetzt verkaufen will.
Warum ist es ausgeschlossen, dass Ihre Mutter sich 1970, als sie in den Untergrund ging, trotzdem um Sie sorgte?
Woher nehmen Sie die Chuzpe zu unterstellen, dass Meinhof sich zu diesem Zeitpunkt um ihre Kinder sorgte? Meinhof wurde seit Mai 1970 als Terroristin wegen versuchten Mordes gesucht. Sie war im Untergrund, wollte den Staat mit Gewalt stürzen und spielte dem Spiegel das Traktat zu mit den Sätzen „Natürlich kann geschossen werden“ und „Bullen sind Schweine“. Meinhof war zu diesem Zeitpunkt schon länger nicht mehr bei Verstand, und liebesfähig ohnehin nicht mehr. Und, ehrlich gesagt, auch nicht mutterfähig.
Wozu sollte heute ein positives Mutter-Meinhof-Bild gut sein?
Es gibt zwei extreme „Meinhof-Jünger“: Anja Röhl und vor allem Wienke Zitzlaff, Schwester von Ulrike Meinhof und eine Kronzeugin Ditfurths, die sich seit Jahrzehnten als Ersatzmami gescheiterter Raffer betätigt. Dieses Damentrio arbeitet seit Ewigkeiten daran, Meinhof einen Heiligenschein aufzusetzen. Dabei ist ihnen jedes Mittel recht. Sowie die SED/PDS und die DKP jetzt Linkspartei heißen, weil links ganz okay klingt, soll die RAF, die irgendwie out ist, jetzt als „Meinhof-Partei“ daherkommen. Dabei stören vor allem meine Person und mein Buch „So macht Kommunismus Spaß“, das ich über meine Eltern, meine Kindheit und die linke Geschichte der Bundesrepublik geschrieben habe und in dem auch die einzig dokumentierte Biografie Meinhofs nachzulesen ist, die es überhaupt gibt.
■ Anja Röhl, Jahrgang 1955, ist die Tochter von Klaus-Rainer Röhl und seiner ersten Frau Bruni Röhl. Im Stern vom 5. Mai 2010 schilderte sie den pädophilen Missbrauch durch ihren Vater zwischen 1960 und 1969. Über Bettina Röhl schreibt sie: „Er […] bezeichnete in meiner Gegenwart meine kleine Halbschwester Bettina des Öfteren als das ‚sinnlichste Baby, das er je kennengelernt habe‘.“
■ Klaus Rainer Röhl, 81, war als Gründer der politischen Zeitschrift Konkret einer der wichtigsten und (dadurch) umstrittensten Linken der 60er und frühen 70er Jahre. Er bestreitet sowohl die Missbrauchsvorwürfe von Anja Röhl als auch von Bettina Röhl.
■ Ulrike Meinhof (1934–1976) war von 1961–67 mit Röhl verheiratet. Dann Scheidung, danach Sorgerechtsstreit. Als Folge ihrer politischen Radikalisierung schloss sich Meinhof 1970 der linksterroristischen RAF an, wurde verhaftet und wegen vierfachen Mordes angeklagt. Sie starb vor Urteilsverkündung im Mai 1976 im Gefängnis Stammheim durch Freitod.
Welche RAF? Die RAF hat sich aufgelöst.
Sie meinen diese Auflösungserklärung von 1998? Das war eine hohle Nuss, an die sich niemand gebunden fühlt. Es gibt immer noch Reste der RAF. Viele unbekannte aber auch bekannte Figuren aus der ersten Generation der RAF, aber auch spätere Terroristen, sind bis heute trotz teilweise langer Haftstrafen immer noch voll auf dem RAF-Trip. Ich meine damit nicht die innerhalb der RAF höchst unbeliebten Plaudertaschen wie Bommi Baumann, Astrid Proll oder Peter Jürgen Boock. Die alten RAF-Kader, zu denen ich auch meine Tante Wienke Zitzlaff zähle, haben ihre Jünger. Und gewaltbereite Linke gibt es bekanntlich zunehmend mehr.
Sie wuchsen dann bei Klaus RainerRöhl in Hamburg auf, Frau Röhl.
Eine Journalistin fragte mich, was besser sei, palästinensisches Waisenlager oder pädophiler Vater. Das ist einfach eine perverse Frage.
Wie sehen Sie heute die damaligen Vorgänge?
Das Lager in Sizilien war für Kinder absolut unzumutbar. Und das „Waisenhaus“ in Jordanien wäre die Endstation gewesen. Dagegen ist meine Jugend in Hamburg-Blankenese inklusive der Belastungen, die von Klaus Röhl ausgingen, ein hoch privilegiertes Leben im Paradies gewesen. Es gab viel Schatten, aber es gab eben auch viel Licht. Das mit einem archaischen Zeltlager für Waisen in der Wüste zu vergleichen, ist makaber und zynisch.