: Schabernack mit Tradition
First we take Manhattan: Mit seinen Installationen, „Gunpowder Drawings“ und Feuerwerk-Performances ist der in New York lebende chinesische Künstler Cai Guo-Qiang zum international hofierten Star geworden. Im August wird er im Deutschen Guggenheim in Berlin ausstellen. Ein Porträt
von HARALD FRICKE
Über dem Computer im Atelier ist ein Foto an die Wand gepinnt. Viel ausgedörrte Landschaft, oben ein grau verhangener Himmel und in der Mitte endlos Mauer. Die Große Mauer. Der knapp zweieinhalbtausend Kilometer lange, bis zu 16 Meter hohe Schutzwall ist immer noch Chinas Wahrzeichen und Symbol des übermächtigen Imperiums, gestern wie heute.
Für Cai Guo-Qiang ist die Mauer eine Erinnerung an seine Herkunft. Denn als Chinese, da sei er auch 20 Jahre, nachdem er das Land verließ, an die Geschichte gebunden, „das ist eine Verpflichtung, die ich von meinem Vater übernommen habe, der ein Gelehrter für Geschichte war“, erzählt der 1957 in Guangju geborene Künstler. So zumindest hört es sich in der Übersetzung seiner Assistentin an. In dem schmalen Haus, das er am Rand des New Yorker East Village bezogen hat, ist das Foto aber nicht bloß ein Gruß aus der Vergangenheit, sondern ein bisschen auch Trophäe. Immerhin hat Cai Guo-Qiang die Mauer 1993 für sein „Project for Extraterrestrials No. 10“ um zehn Kilometer verlängert. Mit einer Lunte, die die Strecke in kaum einer Viertelstunde als lodernde Linie im Morgengrauen wegbrannte, ohne dass die Offiziellen in Peking davon wussten. Gut sichtbar aber für all die Aliens da draußen im Weltall und gut dokumentiert für die museale Nachwelt.
Seit der Aktion ist Cai Guo-Qiang eine fixe Größe im internationalen Kunstbetrieb. Er hatte Ausstellungen in Paris, Tokio, Wien und dem Museum of Modern Art, in New York, wo er nach neunjährigem Japanaufenthalt seit 1995 lebt. Mit seinen Installationen und Feuerwerk-Performances ist er sehr beliebt auf dem Rummelplatz der Biennalen: Johannesburg, Taipeh, Santa Fe. Mal hat er ein Jacuzzi-Bad und hübsch bizarre Taihu-Steine ins Museum gestellt, weil Entspannung für ihn zur Meditation gehört. In Dänemark ließ er mit Schießpulver gespickte Drachen steigen, die wie Feuerbälle durch die Nacht tanzten. Dieses Jahr hat das New Yorker Metropolitan Museum ihn mit einer Arbeit eingeladen, bei der täglich um zwölf Uhr mittags eine kleine schwarze Explosionswolke über dem Gebäude aufsteigt – als Menetekel und Memorial für die Attentate vom 11. September. Bei kräftigem Wind verfliegt der Ruß des Gedenkens in Sekundenbruchteilen.
First we take Manhattan – und nun Berlin. Als er der angereisten Journalistengruppe seine Projekte vorstellt, stehen bereits einige Entwürfe für Cai Guo-Qiangs Einzelausstellung, die Mitte August im Deutschen Guggenheim Berlin stattfindet. Es geht um Wölfe, die auf einem so genannten Gunpowder Drawing im Wirbel umeinander jagen – alles im Breitwandformat, auf zehn Meter Länge. Die endgültige Zeichnung soll vor Ort und zeitnah zur Eröffnung in Reispapier eingebrannt werden; eine Technik, die Cai Guo-Qiang meisterlich verfeinert hat. Dabei werden die Figuren aus Pappe ausgeschnitten, auf dem Papier ausgelegt und mit Schwarzpulver bestreut, so dass nach der Explosion die Konturen der Tiere als Brandspur übrig bleiben. Es qualmt gewaltig, und es geht blitzschnell, auch weil fünf, sechs Helferinnen jede Flamme sofort mit Lappen ersticken – Wasser kommt nicht in Frage, sonst wäre die Oberfläche ruiniert. Die fertigen Bilder sehen wie schwefelig expressionistische Graffiti aus. Billig ist der Alchemie-Pop nicht zu haben, die Arbeiten kosten sechsstellige Summen, schon gibt es Wartelisten von Sammlern und Museen.
Keine Frage, Cai Guo-Qiang hat eine Nische gefunden, in der sich Tradition und Schabernack die Hand reichen. Selten sind bei einem Künstler aus China die Klischees so stimmig im Einsatz gewesen und doch zugleich ad absurdum geführt worden. Der Magier aus Fernost, der mit Feuerwerk das Vernissagenpublikum zum Staunen bringt, die wiederkehrenden Fabelwesen, die Mixtur aus New-Age-Ambiente und höherer Spiritualität – Cai Guo-Qiang inszeniert lokales Brauchtum auf globalisiertem Niveau. Wenn er von seinen frühen „Projects for Extraterrestrials“ spricht, dann klingt ein leichter Spott darüber an, dass der Westen unter dem Vorwand des Austauschs zwischen den Kulturen nach Exotik giert: „Oft fühle ich mich selbst als Gast bei meinen Ausstellungen, denn in diesen Ländern bin ich der Andere.“ Dass er sein Anderssein bewusst einsetzt, ist Teil des Spiels, so wie er stets nur auf Chinesisch kommuniziert und deshalb in Begleitung einer Übersetzerin auftritt. Schließlich weiß er gut, dass zumindest die New Yorker Kunstwelt ihm diese Gepflogenheit als hart erkämpfte Identität anrechnet.
Aber was heißt schon Identität? Wenn er mit seiner drahtigen Statur pfeilgerade vor einem steht, wenn er einen Augenblick beim Gespräch in sich hinein lächelt, dann wirkt seine distanzierte Höflichkeit durch und durch chinesisch. Auch die Sätze, die er sagt, passen ins Bild. Ja, seine Mutter und Großmutter haben sich an die Macht der unsichtbaren Dinge gehalten, das war ihr Alltag, der nun auch in seiner Kunst zum Ausdruck kommt. „Das Unsichtbare sichtbar machen, ob als Drachen oder Tiger, das gibt den Gedanken eine physische Gegenwart“, erzählt er mit Blick auf die Geister, die seine Kunstwerke bevölkern. Trotzdem liest sich seine Biografie nicht wie der sanfte Weg von Yin nach Yang, sie ist voller Konflikte und Brüche. Als Kind hat er die Abirrungen der Kulturrevolution erlebt, als Teenager stand er für Martial-Arts-Filme vor der Kamera, und als Student hat er die Massaker auf dem Tianamen-Platz während eines Japanstipendiums im Fernsehen verfolgt. Spätestens seit dieser Zeit ist China nicht bloß Sehnsuchtsort gewesen, sondern vor allem eine Realität aus Zensur und der Drangsalierung von Andersdenkenden. Man kennt solche Ambivalenzen von Künstlern wie Shirin Neshat oder Ilja Kabakow: Im Aufbegehren gegen das System bleibt man seinen kulturellen Wurzeln treu. Manche nennen das neuerdings Patriotismus, andere immer noch Widerstand.
Diese Asymmetrie spiegelt sich in Cai Guo-Qiangs Arbeiten, durchaus mit ironischer Zuspitzung. Für seine Installation „Rent Collection Courtyard“ wurde er 1999 mit einem Spezialpreis der Biennale in Venedig ausgezeichnet. Damals hatte er ein begehbares Atelier eingerichtet, in dem chinesische Kunststudenten gemeinsam mit ihren Bildhauereiprofessoren eine berühmte Figurengruppe aus den 60er-Jahren nachbauen durften. Geknechtete Bauern, unbarmherzige Steuereintreiber – Auftragskunst gegen Ausbeutung und Feudalherrschaft. Die Rekonstruktion stellte die Verhältnisse auf den Kopf: Was einmal antikapitalistisches Mahnmal war, schien nun dekorative Dreingabe im schnelllebigen Ausstellungszirkus zu sein, die Anklage von einst wirkte zwischen Konzeptkunst und coolen Techno-Happenings wie Produktionskitsch. Oder hatte Cai Guo-Qiang die Schraube weitergedreht – und einen Kommentar auf den Westen abgeliefert, der in seinem Hunger nach Authentizität selbst Agitprop ins Herz schließt? Hauptsache, made in China.
Tatsächlich ist Cai Guo-Qiangs Bekenntnis zur Heimat mehr als kokette Stilisierung. Noch immer verfolgt er die kulturellen Entwicklungen in China genau, zuletzt war er Kurator für den chinesischen Biennale-Pavillon 2005 in Venedig. Mit der Liberalisierung im Land hat sich auch das Verhältnis zu denjenigen Künstler geändert, die nach wie vor im Exil leben. Mittlerweile fährt Cai Guo-Qiang häufig nach Peking oder Schanghai, wo er 2002 als erster zeitgenössischer chinesischer Künstler einzeln in einem Museum ausgestellt wurde. Die Gründe dafür lagen allerdings nicht nur in einer neuen Wertschätzung von Seiten des Regimes: Als vor vier Jahren in Schanghai die Wirtschaftstagung der Asia Pacific Economic Cooperation (Apec) stattfand, suchte man nach einem Künstler für die Abschlussfeier. Plötzlich war Cai Guo-Qiang wegen seiner Feuerwerksspektakel der Mann der Stunde. In einem groß angelegten Event durfte er über der Skyline die Götter silbern, rot und golden funkeln lassen. Dass danach die Würdigung im Museum kam, geschah schlicht aus ökonomischen Erwägungen: „Mittlerweile interessiert sich die Regierung auch für zeitgenössische Kunst, wenn man die entsprechende Förderung mitbringt.“ Wieder so ein Satz, den Cai Guo-Qiang mit einem gezielten Lächeln ausspricht.
In Berlin kommt das Budget von der Deutschen Bank. Es ist großzügig ausgefallen, so großzügig, dass er Anfang dieser Woche für die Guggenheim-Präsentation eine zusätzliche Videoarbeit realisieren konnte. „Für „Illusion II“ hat Cai Guo-Qiang ein Einfamilienhäuschen in den Babelsberger Filmstudios bauen lassen, das auf dem Freigelände am Anhalter Bahnhof mit viel Feuerwerk in die Luft gesprengt wurde. Es gab Sekt und Büfett für die Gäste, auch das Haus brannte sehr professionell. Nur manchmal wurde einem etwas mulmig bei der Vorstellung von Terror und Vertreibung, die sich an solche Bilder spätestens seit dem Balkankrieg heften. Cai Guo-Qiang weiß, wo es piekst, das reicht ihm als Verunsicherung: „Es geht um den Konflikt, etwas Schönes wie ein Feuerwerk zu sehen und zugleich Zerstörung.“
Demnächst wird Cai Guo-Qiang im ganz großen Maßstab agieren: 2008 soll er in Peking die Feierlichkeiten zu den Olympischen Spielen einleuchten. Im Atelier hängt deshalb ein Foto der von den Architekten Herzog & De Meuron entworfenen Superarena direkt neben dem der Mauer. Zwei Bauten, ein Gedanke. Ob die Aliens wieder zuschauen werden?