: Fischen heißt nicht fangen
Die Cayman Islands gehören zu den feinsten Angelgebieten der Karibik wegen der Riffe und steil abfallenden Tiefseegräben mit viel aufregendem Getier. „Großwild-Fischen“ ist eine Attraktion der kleinen Inseln südlich von Kuba
von THOMAS PAMPUCH
Zehn Meilen vor der Küste der merkwürdig geformten Insel stampft die „Bahari“ durch das aufreizend blaue Meer. Bei einer gefühlten Windstärke von zehneinhalb scheinen die Fische keine große Lust mehr auf Sport zu haben – zu ihrem Vorteil, aber zum Leidwesen der Besatzung. Die Strangs, Vater Sandy, die beiden erwachsenen Söhne Keith und Scott sowie Freund John wollen endlich einen dicken Fisch aus dem Wasser ziehen. Seit Jahren nehmen die vier Schotten mit ihrem schönen 14-Meter-Schiff an Wettfischturnieren auf den Caymaninseln teil.
Die Cayman Islands gehören zu den feinsten Angelgebieten der Karibik. „Großwildangeln“, wie Big Game Fishing übersetzt heißt, ist neben dem Tauchen die größte touristische Attraktion der drei kleinen Inselchen südlich von Kuba. „Cayman is not about the land, it’s about the sea“, erläutert uns Sandy, der als munterer Pensionär vor zehn Jahren hierher zog, um seine alten Tage an einer der schönsten Wasserstellen der Erde zu verbringen. „Grand Cayman ist platt, kein Fluss, kein Hügel, viel Sumpf.“ Aber nur fünfzig Meter von seinem Haus entfernt liegt der unwirklich hellblaue North Sound, die große Bucht von Grand Cayman mit seiner „Stingray City“. Das ist nicht etwa eine Stadt, sondern ein Ort mitten in der Bucht, an dem sich jede Menge Stachelrochen in flachem Gewässer tummeln, die nichts dabei finden, den angereisten Tauchern und Schnorchlern zart, ja schmusend mit ihrer Samthaut über die Hand zu streichen. Und im offenen Meer hinter dem Sound liegen wunderbare Riffe sowie steil abfallende Tiefseegräben mit allen Arten von aufregenden Fischen.
Wir sind mittendrin im „Cayman Islands International Fishing Tournament“. Sehr groß war die Ausbeute bisher nicht: Am ersten Tag holte Keith zehn Meilen vor der Küste der Hauptinsel Grand Cayman einen hübschen Marlin aus dem Wasser. Doch der kam nicht in die Wertung, weil er weit unter dreihundert amerikanischen Pfund (136 Kilo) wog. Bei Marlins gilt eigentlich das „catch and release“-Prinzip, das heißt, die gefangenen Fische werden nur gewogen, fotografiert und dann wieder freigelassen – für ein Leben nach dem Haken oder für den nächsten Sportfischer. Da es den Strangs aber nicht gelang, ihren Marlin wieder zu beleben, wurde er an der Wiegestation am Abend von Fachkräften ziemlich prosaisch in sachertortengroße Stücke zerhackt, die man dann an soziale Einrichtungen verteilte.
Blue Marlins sind gewissermaßen die Könige des Sportfischens, der Anglerweltrekord liegt im Atlantik bei strammen 581 Kilo. Auf dem diesjährigen Turnier mit 57 teilnehmenden Booten und nahezu zweihundert Anglern erreicht kein einziger der sieben gefischten Marlins die geforderten 300 Pfund. Der nicht zuletzt durch Hemingways Erzählung „Der alte Mann und das Meer“ berühmt gewordene Fisch hat übrigens mehr sportlichen Wert – schmecken tut er eher bescheiden. Val Strang, die Gattin des Skippers, weiß jedoch mit Hilfe von Mayonnaise und allerlei geheimnisvollen Ingredienzien einen vorzüglichen „Dip“ aus geräuchertem Marlin zu zaubern. Den erhalten ihre tapferen Angler immer dann, wenn sie mit leeren Händen heimkehren.
Doch an leere Hände denkt im Moment niemand auf der „Bahari“. Und auch sonst niemand, wenn er den Namen Cayman hört. Die britische Kronkolonie erfreut sich des höchsten Lebensstandards der Karibik. Derzeit kämpft sie allerdings verstärkt darum, nicht mehr nur als „Offshore“-Zentrum wahrgenommen zu werden. Zwar ist Grand Cayman weiterhin das fünftgrößte Finanzzentrum der Welt, und die mehr als 500 Banken in der Hauptstadt Georgetown werden sicher nicht nur von den 40.000 Einwohnen genutzt. Auch alle 25.000 hier gemeldeten Firmen betreiben sie nicht allein. Doch Frankfurt und New York schaffen es ja ebenfalls, nebenbei Touristen anzuziehen. Das mit der Steueroase sei inzwischen auch nicht mehr ganz so einfach, versichern einem alle Einwohner mit Nachdruck. Und wie zur Bestätigung hauen die Hoteliers in Grand Cayman auf die ausgewiesenen Preise stolze zwanzig Prozent Steuern drauf. Von wegen Steuerfreiheit. Die gilt nur für Einkommen- und Gewerbe-, nicht jedoch für Konsumsteuern.
Am zweiten Tag des Wettkampfes fischt Scott, der ältere Sohn, in unserem Beisein einen „dolphin“. Das ist nicht etwa ein Delfin, sondern ein wunderschöner, wohlschmeckender, blau-grün-goldener Fisch, der mit bürgerlich hawaianischem Namen „Mahi-Mahi“ heißt und stets eine grimmige, trotz seiner Schönheit etwas übellaunige Grimasse zieht.
Die ganze Aktion dauert nur etwa 15 Minuten, aber sie hat es in sich. Gegen elf Uhr vormittags, nach immerhin vier Stunden voller Fahrt so genannten Schleppfischens mit den dabei üblichen fünf über Ausleger und am Heck angebrachten Ruten, ertönt plötzlich das Sirren der Gummisicherungen. Es zeigt an, wenn ein Fisch an einem der bunten Kunstköder Gefallen findet und anbeißt. Es ist Scotts Rute, die singt, und die nächsten Minuten vermittelten uns einen Eindruck davon, was ein „Drill“ ist. Scott kämpft auf seinem Zahnarztstuhl-ähnlichen Anglersitz im Heck des Bootes mit dem Mahi-Mahi. Er spult die über 30 Meter reichende Angelschnur auf, gibt wieder Leine. pumpt, lässt wieder locker, spult erneut, lässt wieder locker. Und der Mahi-Mahi tanzt wild über das Wasser, springt, dreht sich, klatscht auf, springt wieder. Doch der Haken hält.
Vorsichtig, aber unerbittlich zieht Scott den Fisch immer näher ans Boot. Hemingways alter Santiago kämpfte drei Tage mit seinem Marlin – und verlor ihn bei der Rückfahrt, als die Haie ihm den toten Fisch wegknabberten, den er längsseits an seiner Jolle heimschleppen wollte. Bei einem Mahi-Mahi und der „Bahari“ ist das nicht zu befürchten. Sandy steuert und überwacht die Aktion von oben, die beiden anderen halten sich bereit. Als der Fisch nahe genug am Heck ist, hieven ihn John und Keith mit langen Haken ins Boot, lösen den Haken im Maul und verfrachten den immer noch wild zuckenden Fisch in eine ins Heck eingelassene Wanne. Dort klatscht das schöne Tier wie ein überwältigter Catcher langsam ermattende Schläge auf den Boden. Auch dieser Fisch ist mit 17 lbs für die Wertung (sie beginnt bei 20 lbs) zu klein, aber dafür schmeckt er wunderbar, als wir ihn von Sandy in Knoblauch gebraten serviert bekommen.
Es sei ganz einfach, einen Fisch zu fangen, erklärt uns der erfahrene Sportfischer mit einem Zwinkern: „Es geht nur darum, die richtigen Köder in der richtigen Geschwindigkeit am richtigen Ort zur richtigen Zeit einzusetzen.“ Den anderen wichtigen Merksatz der Hochseefischerei verrät uns Sandy am nächsten Tag, als wir noch einmal mitfahren, weil wir doch zu gern einen Marlin sehen würden. Nach wiederum neun Stunden voller Fahrt auf See bei diesmal durchaus rauem Wetter haben wir außer einer Plastiktüte nichts an Bord gezogen: Trotz all der feinen Ruten, Köder, Schnüre, trotz mehrfach geänderten Strategien mit anderen Ködern, anderen Orten, anderen Geschwindigkeiten. Müde und etwas flau im Magen kommen wir zurück ins schöne Heim zu Val. Ihr Marlin-Dip ist köstlich und tröstend. Und der Spruch von Sandy eröffnet uns die ganze Philosophie seines Sportes: „Well, fishing is called fishing, not catching“. Der alte Mann von Hemingway hat 85 Tage gefischt, bis er seinen Marlin gefangen hat. Und was hat es ihm genützt? Wir immerhin haben einen Mahi-Mahi verspeist – und Marlin-Dip gekostet.