: Die Justiz untergräbt den Kampf gegen die Korruption
CHINA Ein Volksgericht verurteilt den bekanntesten Bürgerrechtler Xu Zhiyong zu vier Jahren Haft
ROSEANN RIFE, AMNESTY INTERNATIONAL
AUS PEKING FELIX LEE
Die Diplomaten sind entsetzt. Mehrfach haben sie in den vergangenen Tagen vor dem Pekinger Volksgericht ausgeharrt. Auch wenn sie selbst nicht in den Gerichtssaal durften, in dem über den Bürgerrechtsaktivisten Xu Zhiyong verhandelt wurde, wollten sie zumindest vor dem Gebäude den Richtern mitteilen: Wir hoffen auf einen fairen Prozess. Doch die Richter ließen sich nicht beeindrucken. Wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ haben sie den Antikorruptionskämpfer Xu Zhiyong am Sonntag zu vier Jahren Haft verurteilt.
Das gesamte Verfahren sei „sehr unfair“ gewesen, beschwerte sich Xus Anwalt bei Journalisten vor dem Gerichtsgebäude nach der Urteilsverkündung. Auch wenn er sich keine Hoffnungen mache, dass eine Berufung etwas ändern würde, wollen er und sein Mandant gegen das Urteil vorgehen. Ansonsten würden „alle anderen Bürgerrechtler vor Gericht ähnlich hart bestraft werden“. Noch bevor der Anwalt zu Ende gesprochen hatte, führten Polizisten ihn ab.
Seit Mitte der Woche wird neben Xu derzeit schon sechs weiteren Bürgerrechtlern der Prozess gemacht. Sie werden allesamt dem von Xu vor anderthalb Jahren gegründetem Netzwerk Bewegung Neuer Bürger zugerechnet, eine Initiative, die sich unter anderem für die Offenlegung der Einkünfte von Partei- und Staatsfunktionären einsetzt. Ihre Urteile werden in den kommenden Tagen erwartet.
Korruption ist ein großes Problem in China. Der seit einem Jahr amtierende Staatschef Xi Jinping überzieht das Land seit Monaten selbst mit einer Kampagne gegen Machtmissbrauch und Selbstbereicherung von Staats- und Parteifunktionären. Angeblich soll er schon gegen mehrere zehntausend korrupte Kader vorgegangen sein.
Doch es gibt Zweifel, wie Ernst es Xi wirklich meint. Zeitgleich zum Prozessauftakt gegen den Bürgerrechtler Xu hat ein internationales Journalistenteam am Mittwoch Berichte veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass Familien von Spitzenkadern der Kommunistischen Partei ihr Vermögen in Steueroasen in der Karibik horten, darunter auch der Schwager von Xi Jinping selbst.
Zugleich geht Xi seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr gezielt gegen Xu und seine Mitstreiter vor. Xu hatte in seiner Funktion als Jurist schon mehrfach auf Steuerbetrug, Selbstbereicherung und die grassierende Korruption unter chinesischen Spitzenfunktionären hingewiesen. Mindestens 17 Bürgerrechtler seiner Initiative sitzen seit Anfang 2013 in Haft.
Xu wurde im August festgenommen. Beim Prozessauftakt am Mittwoch las Xu eine Erklärung vor, in der er darauf verwies, dass seine Forderung nach „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Gerechtigkeit“ alles Ziele seien, die mit den Idealen des Sozialismus übereinstimmten. Noch ehe er zu Ende gelesen hatte, schnitten Richter ihm das Wort ab.
Menschenrechtsorganisationen und Diplomaten sind empört über die Entscheidung des Gericht. „Das ist ein beschämendes, aber leider vorhersehbares Urteil“, kritisierte Roseann Rife von Amnesty International. „Die chinesischen Behörden haben sich erneut für Unterdrückung anstatt für den Rechtsstaat entschieden.“
Die Pekinger Vertretung der Europäischen Union sprach von einem „deutlichem Widerspruch“. Einerseits wolle Chinas Führung Korruption bekämpfen. Anderseits mache der Staat ausgerechnet den Aktivisten den Prozess, die sich für dieselben Ziele einsetzten.