: Eine Art von Meinungsäußerung
VÖLKERRECHT Das Haager IGH-Gutachten hält zwar die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo für zulässig, es sagt aber nichts zu den rechtlichen Folgen
FREIBURG taz | Die entscheidende Frage ließen die Richter des Internationalen Gerichtshofs (IGH) offen. In ihrem Gutachten vom Donnerstag klärten sie nicht, ob das Kosovo ein Recht zur Abspaltung von Serbien hatte. Sie stellten sie fest, dass die Unabhängigkeitserklärung vom 17. Februar 2008 nicht gegen internationales Recht verstieß. Faktisch haben die Richter die Unabhängigkeitserklärung also lediglich als eine Art Meinungsäußerung betrachtet.
Man kann den Richtern in Den Haag nicht einmal vorwerfen, sie hätten sich mit einem Taschenspielertrick um die entscheidende Frage herumgemogelt. Denn für die Verfahrensbeteiligten war lange schon klar, dass die Anfrage der UN-Vollversammlung zu eng formuliert war. Anders als bei anderen Gutachtenaufträgen (etwa zum israelischen Sperrzaun in Palästina) wurde diesmal nicht nach rechtlichen Konsequenzen gefragt. Vermutlich war die Beschränkung erforderlich, um in der Vollversammlung überhaupt eine Mehrheit für den Auftrag zum Gutachten zu bekommen.
Doch auch die Frage nach der Zulässigkeit einer Unabhängigkeitserklärung barg noch viel Sprengstoff. Immerhin vier der vierzehn Richter hielten die Erklärung für völkerrechtlich nicht zulässig, unter anderem weil sie die „territoriale Integrität“ von Staaten gefährden könne.
Eine Mehrheit von zehn Richtern, zu der auch der Deutsche Bruno Simma zählte, sah jedoch kein völkerrechtliches Verbot einer solchen Erklärung. Bisher habe der UN-Sicherheitsrat nur Unabhängigkeitserklärungen für unzulässig erklärt, die mit unzulässiger Gewaltanwendung verbunden waren, so etwa die von Nordzypern 1983 oder die der Republik Srpska 1993, die sich von Bosnien und Herzegowina lösen will.
Geprüft haben die Richter auch die UN-Resolution 1244, die nach der Nato-Intervention von 1999 die Verhältnisse im Kosovo neu geordnet hat. Auch sie habe nicht verboten, dass private Akteure im Kosovo die Unabhängigkeit ausrufen, denn sie habe sich nur an staatliche Institutionen gerichtet. Zwar wurde die Loslösung von Serbien im kosovarischen Parlament verkündet. Dabei handelten die Politiker aber nicht als Teil der von der UN eingesetzten Übergangsverwaltung, sondern als quasi private „Repräsentanten des kosovarischen Volkes“, so die etwas gewagte Interpretation der IGH-Richter.
Zu den rechtlichen Folgen der Unabhängigkeitserklärung äußert sich das UN-Gericht ausdrücklich nicht, was der deutsche Richter Bruno Simma in einem Sondervotum kritisierte. Damit ist nach wie vor unklar, unter welchen Bedingungen eine Volksgruppe das Recht hat, einen eigenen Staat zu gründen.
Bislang gibt es im Völkerrecht jedenfalls kein Recht auf Abspaltung. Eine nationale Minderheit kann zwar Minderheitenrechte beanspruchen, nicht aber einen eigenen Staat. Nur bei aktueller Unterdrückung einer Volksgruppe erkannten Völkerrechtler bisher ein Recht auf Abspaltung an. Ob dieses Recht auch noch Jahre nach Ende des akuten Konflikts ausgeübt werden kann, so wie vom Kosovo geltend gemacht, hat der IGH nicht entschieden.
Sezessionisten und Rebellengruppen in allen Erdteilen werden sich dennoch auf das Haager Gutachten berufen und zumindest auf die Zulässigkeit einer Unabhängigkeitserklärung pochen. International wird das Urteil also eher zu Unruhe führen.
Hinzu kommt, dass viele Medien zunächst den Eindruck erweckt hatten, der IGH habe die Unabhängigkeit des Kosovo auch inhaltlich anerkannt. Das aber war vor allem eine Folge der katastrophalen Pressearbeit des IGH. Seine Webseite war am Donnerstagabend aufgrund des großen Interesses zusammengebrochen. Journalisten, die nicht vor Ort waren, erhielten die Zusammenfassung des Urteils erst Stunden nach Redaktionsschluss. CHRISTIAN RATH