: Techno-WM auf der Ravemeile
Hunderttausende feiern bei der Love Parade im Tiergarten. Die Veranstalter sind zufrieden: Sie haben den Umzug erfolgreich wiederbelebt und straff organisiert. Die Stimmung erinnert aber eher an die Fanmeile zur Fußball-WM
Die Neuauflage der Love Parade ist nur halb geglückt. Die Veranstalter sprechen zwar von 1,2 Millionen Besuchern. Am Samstagabend hatten die Raver auf der nur leicht gefüllten Straße des 17. Juni aber noch genug Platz zum Tanzen. Die offizielle Besucherzahl scheint also etwas hoch gegriffen – mehr als 500.000 werden es nicht gewesen sein. Die Polizei will keine Schätzungen abgeben.
Die neuen Organisatoren um den Hauptsponsor und Love-Parade-Geschäftsführer Rainer Schaller sind dennoch begeistert. „Dieser Erfolg ist überwältigend“, so Schaller. Ob er die Parade nächstes Jahr wieder finanzieren werde, lässt der Chef einer Fitnesskette aber noch offen.
Die Stimmung dort ist fast wie auf der Fanmeile zur Fußball-WM. Die Großleinwände fehlen zwar, die Länderfahnen sind aber geblieben. Viele Technofans unterscheiden sich kaum von den Fußballfans, die noch vor einer Woche hier auf der Fanmeile feierten. Raver in verrückten Outfits sind zu Randfiguren geworden. Touristen, Schaulustige und ganz normale Partyhungrige aus dem Berliner Umland tanzen zwischen den 40 Parade-Lastern, auf denen die DJs auflegen. Die übrig gebliebenen und schon ziemlich gealterten Raver in ihrem bunten und ausgefallenen Kleidern werden bestaunt und fotografiert. Sie lassen dunkel erahnen, dass es hier einmal um Jugendkultur gegangen ist.
Die Jugend ist allerdings in der Minderzahl. Sogar Familien mit Kindern zählen zu den Gästen der Technoparade. Ein Vater mit blau gefärbten Haaren hält seinen Sohn mit ebensolcher Haarfarbe an der Hand. Auf den Wiesen des Tiergarten wird gepicknickt – es ist fast wie auf einem Volksfest. Techno ist zur Volksmusik einer neuen Generation geworden. Die Eltern schockt es nicht mehr, wenn ihre leicht bekleideten Töchter lasziv zu harten Beats tanzen. Hier tanzen die Eltern selbst mit.
Den Veranstaltern kann man eigentlich nichts vorwerfen. Sie haben mit drei Millionen Euro Sponsorengeldern eine Neuauflage der Technoparade erst möglich gemacht. Der Zug ist zudem sehr gut organisiert, alles klappt reibungslos, die Getränke sind vergleichsweise billig, und sogar das alte Problem der Müllentsorgung ist gelöst. Auch die Öffnung der Parade hin zu neuen Entwicklungen der elektronischen Musik war im Prinzip eine gute Idee. Denn Techno der alten Schule ist mindestens seit fünf Jahren ziemlich out. In der Berliner Clubszene hingegen ist harte Elektromusik gerade wieder schwer im Kommen. Es erschien also durchaus sinnvoll, mit anderen DJs und einem überarbeitetem Konzept einen neuen Versuch zu wagen.
Doch das neue Publikum, das man erreichen wollte, blieb aus – die Berliner Clubszene ist zu Hause geblieben. Die Technoklassiker der Neunzigerjahre kommen auf der Love Parade immer noch am besten an. Der Geist alter Zeiten ist verschwunden, ein neuer nicht in Sicht.
Dave aus Berlin hat trotzdem Spaß. Es ist schon seine zehnte Love Parade, und viel auszusetzen hat er nicht. Die Musik sei anders geworden, nicht mehr so hart und eintönig, dafür sei alles „sehr straff, fast militärisch organisiert“. Dazu passen die „Loveguards“, die sich zwischen den Tänzern hindurchdrängen und kommentarlos Kondome und Ohrstöpsel verteilen. Eigentlich sollen sie über Drogen und Aids aufklären; wenn man sie anspricht, bekommt man aber nur ein Kondom vom Hauptsponsor vor die Nase gehalten und wird abgewimmelt: „Wie müssen weiterarbeiten.“
Positiv ist dem 30-jährigen Dave allerdings aufgefallen, dass im Vergleich zur letzten Love Parade 2003 weniger Fernsehkameras zu sehen sind. Früher hätten die meisten nur getanzt, wenn sie gefilmt wurden. Das sei jetzt nicht mehr so – immerhin. Dafür hat heute jeder seine eigene Digitalkamera dabei. Damit fotografieren sich die Raver ständig gegenseitig. Die Love Parade ist zur Poser-Parade geworden.
Organisator Rainer Schaller ist trotzdem sehr zufrieden mit seiner Neuauflage der Love Parade. Er freut sich, die „größte Party der Welt“ wieder in ihre Geburtsstadt zurückgeholt zu haben. Und das zu Recht: Es wurde effektiv gefeiert – für alte Fans des Umzugs ist das aber vielleicht auch nur eine Umschreibung für „langweilig“.
SEBASTIAN LEHMANN