: Mobilität aus der Steckdose?
VERKEHRSPOLITIK Energiekonzerne und Autobauer setzen nun auf Elektroautos. Das reicht aber nicht, um unseren Verkehr umweltverträglicher zu gestalten
■ ist Abgeordneter im EU-Parlament und dort seit 2004 verkehrspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Davor saß er für die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Seit 1979 ist er ohne Auto mobil.
Der Straßenverkehr ist in der Europäischen Union für ein Drittel aller CO2-Emissionen verantwortlich. Schlimmer noch: Die Emissionen von Privatfahrzeugen und Lkws haben seit 1990 um mehr als ein Drittel zugenommen, während sie in der Industrie oder durch die Wärmedämmung bei den Häusern im selben Zeitraum um etwa 10 Prozent reduziert werden konnten. Der Verkehr frisst also doppelt und dreifach das auf, was in anderen Sektoren mit Milliardeninvestitionen unserer Steuergelder eingespart wurde. Diese Zahlen sprechen für eine radikale Wende in der Verkehrspolitik.
Nach der – trügerischen – Hoffnung auf Agrosprit setzen jetzt viele auf das Elektroauto, das ohne Zweifel beim Fahren emissionsfrei ist. Doch ob die Umweltbilanz – und dazu gehört die gesamte Kette von der Produktion über die Nutzung bis hin zum Verschrotten und/oder Recyceln – wirklich besser ist, hängt entscheidend von der Stromquelle ab. Ideal wären erneuerbare Energien. Doch die reichen nicht einmal ansatzweise für den bisherigen Stromverbrauch.
In Frankreich ist der Hype ums E-Car eng verbunden mit den Interessen der Atomlobby. Aber auch anderswo zeigt sich: Bei den E-Cars vereinen sich zwei Lobbys, die angesichts der Bedrohung des Klimawandels um ihre Pfründen fürchten: die Energiekonzerne und die Autobauer. Gerade für Letztere ist es die einfachste Lösung, allein den Antrieb zu ändern. Und vielen Konsumenten erscheint die Vorstellung attraktiv, einfach nur auf ein ökologisch verträglicheres Fortbewegungsmittel umzusatteln, anstatt den eigenen automobilen Lebensstil zumindest teilweise überdenken zu müssen. Doch so einfach ist ein umweltverträglicher Verkehr der Zukunft nicht zu haben.
Zu schwer, zu kurzatmig
Noch ist das E-Car auch kaum konkurrenzfähig – allein schon, weil es im Augenblick 20.000 bis 30.000 Euro mehr kostet als eines, das einen Verbrennungsmotor besitzt. Von Nachteil sind auch die schweren Batterien und die begrenzten Strecken, die sich damit zurücklegen lassen. Zum Vergleich: Mit 60 Liter Diesel fährt ein neuer Pkw rund 800 Kilometer. Derzeit kommen E-Autos bestenfalls 150 Kilometer weit – mit einer Batterie, die um die 230 Kilogramm wiegt!
Trotz vieler ungelöster Probleme will Deutschland bis 2020 eine Million E-Cars auf den Straßen haben. Angesichts von knapp 50 Millionen Fahrzeugen im Lande dürfte der Beitrag dieser milliardenschwer subventionierten Maßnahme kaum zur Reduzierung der Emissionen beitragen. Schauen wir über Europas Grenzen hinweg, werden die Dimensionen noch deutlicher. In den letzten fünf Jahren hat sich die Anzahl der Autos in Asien verdoppelt. China geht davon aus, dass es jedes Jahr sieben Millionen Autos mehr werden. Würde es die Autodichte Deutschlands erreichen, gäbe es dort 600 Millionen Autos – so viele gibt es heute weltweit. Wenn die Chinesen nur annähernd so viel Auto fahren wie wir, fährt morgen niemand mehr – weil es nicht genug Öl, Lithium für die Batterien und nicht genug Stahl gibt – und noch viel weniger Platz.
Konkurrenz zu Bahn und Bus
Natürlich kann der elektrische Antrieb von ökologischem Nutzen sein – für Schienenfahrzeuge, Straßenbahnen und E-Bikes. Für Autos ist nur dann ein positiver Effekt für die Umwelt zu erwarten, wenn deren Zahl radikal reduziert wird. Denn eine ökologisch verträgliche Antriebsart allein macht das Auto noch nicht zu einem klimafreundlichen Verkehrsmittel.
Aufgrund seiner kurzen Reichweite stellt das E-Car vor allem eine Konkurrenz zum umweltfreundlichen Verkehr via Bus, Bahn und Fahrrad dar. Gerade in den Städten ist das Auto im wahrsten Sinne des Worts der Motor, der die Verschlechterung der Lebensqualität vorantreibt. Deshalb brauchen wir dort keine neue, automobile Konkurrenz zu den automobilen Kurzstreckenvehikeln, sondern eine Alternative zum flächenfressenden Automobil – unabhängig von dessen Antrieb.
Die Emissionen sind nämlich nur eins von fünf Problemen, welche die Automobilität mit sich bringt. Gerade in dicht besiedelten Regionen gehört dazu der gesundheitsschädliche Lärm, der durch die Geschwindigkeit sowie den Reifen- und Straßenbelag beeinflusst wird. Zweitens, die Zahl der Unfälle, bei denen jedes Jahr in der EU fast 40.000 Menschen sterben. Drittens frisst der Autoverkehr immer mehr Raum. Aus diesem Grund verschwinden in Deutschland jeden Tag 117 Hektar (!) unter Beton und Asphalt, was sich durch den Einsatz von E-Cars nicht im Geringsten ändern würde. Schließlich bleiben, viertens, die Kosten: Jedes Auto wird pro Jahr mit 3.000 Euro vom Steuerzahler subventioniert, wenn man die Arbeitsausfall-, Invaliditäts- und Krankheitskosten mit einberechnet. Die Klimakosten, fünftens, wurden dabei noch nicht einmal berücksichtigt. Und diesen Betrag zahlt jeder Steuerzahler, selbst wenn er kein Auto besitzt. Es ist und bleibt ein Skandal, dass der umweltfreundliche Verkehr in Deutschland politisch verteuert, der umweltschädliche dagegen künstlich verbilligt wird.
Steigender Energiebedarf
Um die selbst gesetzten Klimaschutzziele zu erreichen, braucht es grundlegende Veränderungen im Verkehrssektor. Durch E-Cars könnte es sicherlich zu einer Verbesserung der Speichertechnologie kommen. Die Königliche Akademie der Wissenschaften in Großbritannien hat errechnet, dass der Strombedarf auf der Insel dann aber trotzdem um 16 Prozent steigen würde. Es ist zu befürchten, dass Großbritannien, das mit der Atomenergie liebäugelt, dafür sechs neue Atomkraftwerke bauen würde.
Eine radikale Verkehrswende ist nötig. Mancherorts findet sie bereits statt: London und Stockholm haben per City-Maut das Auto de facto zum unerwünschten Fahrzeug in ihren Innenstädten erklärt. Der Fahrradverkehr dagegen steigt allerorten, von Berlin bis Kopenhagen. In den deutschen Städten betragen ohnehin 90 Prozent aller Autofahrten weniger als 6 Kilometer: Das sind Entfernungen, die bestens dafür geeignet sind, auf Bus, Bahn, Rad und Zu-Fuß-Gehen umzusteigen. Das sind Ansätze für eine künftige Mobilität, die das Klima schützt. MICHAEL CRAMER