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Archiv-Artikel

Die USA und der Iran verlieren an Einfluss

IRAK Mehr als vier Monate nach der Parlamentswahl gibt es noch immer keine Regierung. Das kann man auch positiv sehen: Bündnispolitik ist komplizierter als Bürgerkrieg. Und dahin will niemand zurück

Der Irak steht vor der bisher bedeutendsten Wegscheide seit der US-Invasion

KAIRO taz | Wenn der nationale Fußballverband ein Indikator ist, wie es derzeit um den Irak bestellt ist, dann sieht es nicht gut aus. Dort ist ein Streit zwischen zwei ehemaligen Spielern um den Vorsitz entbrannt, der für die Lage des Landes symbolisch ist. Bewaffnete Männer stürmten vor wenigen Tagen die Zentrale des Verbandes und forderten die Verhaftung des gegenwärtigen Chefs Hussein Saeed, eines ehemaligen Stürmer in Bagdads Al-Talaba-Club. Der Sunnit genießt die Unterstützung Ijad Alawis, der die Parlamentswahlen im März knapp gewonnen hat und der seitdem versucht, eine Regierung zu bilden.

Saeeds Rivale für den obersten Posten im Kickerverband ist der ehemalige Kapitän des Al-Zarwa-Clubs, Falah Hassan, der wiederum von dem bisherigen schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki unterstützt wird. Der Kampf zwischen al-Maliki und Alawi, wer denn nun eine zukünftige Regierung führen soll, spiegelt sich im Fußballverband wider. Nun läuft der Irak Gefahr, vom Weltfußballverband ausgeschlossen zu werden.

Doch das ist beileibe nicht das größte Problem des Landes. Seit mehr als vier Monaten, als die Iraker zum zweiten Mal seit dem Sturz Saddam Hussein ein Parlament wählten, haben es die Politiker nicht geschafft, eine Regierung zu bilden.

Der Streit um die Regierung ist längst in Washington zur Chefsache geworden. Vergangenen Donnerstag drängte US-Präsident Barack Obama, es sei „Zeit für die irakischen Führer, ihre verfassungsmäßige Verantwortung auszuüben und ohne Aufschub eine Regierung zu bilden“. Sein Vize Joe Biden ermahnte al-Maliki und Allawi telefonisch, ein Kabinett zusammenzustellen, das alle Fraktionen einschließt. Die USA hofften, dass in der künftigen Regierung „alle siegreichen Bündnisse eine bedeutende Rolle spielen“, erklärte das Weiße Haus.

Die USA wollen das irakische Haus in Ordnung bringen, bevor bis Ende August der Großteil der Kampftruppen abgezogen ist und statt wie einst 130.000 nur noch 50.000 US-Soldaten im Zweistromland übrig bleiben. Doch trotz großem Druck hat Washington es vier Monate lang nicht geschafft, die irakischen Politiker zu einem Kompromiss zu bewegen. Das zeugt von dem schwindenden amerikanischen Einfluss im Irak.

Aber auch dem benachbarten Iran, dem zweiten großen ausländischen Spieler in der irakischen Szene, ist es bisher nicht gelungen, sein Projekt eines schiitischen Superbündnisses durchzusetzen. Weder Washington noch Teheran können dem Irak derzeit ihren Stempel aufdrücken.

Das Land ist politisch gespalten. Der eine Teil ist altem Denken verhaftet und hat den religiösen schiitischen Parteien seine Stimme gegeben, die bisher im Irak regiert haben. Der andere setzt sich aus denjenigen zusammen, die säkular gewählt haben, auch weil die religiösen Parteien es bisher nicht geschafft haben, der Bevölkerung die grundsätzlichsten staatlichen Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen. Im siebten Sommer nach dem Sturz Saddam Husseins hat das Land immer noch den halben Tag keinen Strom. Der religiöse Schiit al-Maliki und der säkulare Schiit Alawi, der auch die Unterstützung der Sunniten genießt, stehen für diese politische Teilung des Landes. Keiner ist bereit nachzugeben.

Aber es geht nicht nur um die beiden Personen. Die Wahlen haben eine neue Aufteilung der Macht in den staatlichen Institutionen nötig gemacht. Das Land steht vor der bisher bedeutendsten Wegscheide seit der US-Invasion vor sieben Jahren. Das ist der Grund, warum die Regierungsbildung so schwierig ist.

Man kann diese Verzögerung auch positiv sehen. Vom Militärischen haben sich die Machtkämpfe im Irak auf das Politische verlegt. Statt mit Milizen und Gewalt das Machtgefüge im jeweiligen Interesse zu verändern, müssen Iraks Politiker nun komplizierte politische Bündnisse schmieden. Auch wenn das viel Zeit kostet, weil niemand etwas aufgeben will, wissen alle, dass ein Scheitern dieses Versuchs bedeuten würde, dass das Land wieder zu den Zeiten des Bürgerkriegs zurückkehren würde. Und das will heute im Irak niemand mehr. KARIM EL-GAWHARY