„Wir hätten einen Jesus hinzaubern können“


INTERVIEW KLAUS JANSEN

taz: Herr Wallerius, haben Sie und Ihr Freund Eike Korfhage in Sankt Petersburg gegen ein Auto gepinkelt?

Henning Wallerius: Nein, das haben wir nicht. Ganz ausdrücklich nicht.

Warum sind Sie dann in russischen Polizeigewahrsam gekommen?

Wir saßen um zwei Uhr nachts vor dem Haus, in dem wir untergebracht waren und haben uns unterhalten. Plötzlich tauchte die Miliz auf und stellte uns Fragen auf russisch, die wir nicht verstanden haben. Als wir nicht geantwortet haben, sind die Milizionäre kurz zum Auto gegangen. Als sie dann wieder kamen, hieß es auf russisch: „Mitkommen!“

Warum sind Sie verhaftet worden?

Es ging jedenfalls nicht ums Pinkeln. Es war von vornherein klar, dass man uns aus dem Weg haben wollte.

Weil Sie Journalisten sind, oder weil Sie G-8-Gegner sind?

Ich mag das Wort G-8-Gegner nicht so, weil es immer einen negativen Beigeschmack hat. Aber ich denke schon, dass wir verhaftet worden sind, weil wir aus dem Dunstkreis der Leute kamen, die sich beim Gipfel engagieren wollten.

Was ist mit Ihnen nach der Festnahme geschehen?

Wir sind in eine Milizstation gebracht worden. Bis zwei Uhr mittags haben wir dort kein Wasser, kein Essen, keinen Übersetzer und keinen Anwalt bekommen. Uns wurde nicht einmal gesagt, was uns vorgeworfen wird.

Bis wann wussten Sie nichts?

Am Nachmittag des folgenden Tages kam eine Übersetzerin. Erst sie hat uns gesagt, dass uns „öffentliches Urinieren“ vorgeworfen wird. So gegen vier Uhr sind wir dann zum Gericht gefahren. Die Richterin dort hat allerdings erklärt, dass ihr die Beweise nicht ausreichen. Daraufhin sind zwei Angehörige der Miliz zurück zur Station gefahren, um neue Beweise heranzuschaffen. Während wir gewartet haben, gab es ein großes Palaver zwischen der Richterin, der Staatsanwaltschaft und der Miliz. Es sah so aus, als habe es Streit gegeben, weil uns die Richterin nicht verurteilen wollte.

Sie sind trotzdem zu zehn Tagen Haft verurteilt worden.

Ja, aber erst einen Tag später von einem anderen, kleineren Gericht. Die Verhandlung dort war eine Farce. Wir haben die Umstände unserer Gefangennahme dargelegt, aber das hat alles nichts gebracht. Wir hätten da auch einen Jesus hinzaubern können, das wäre egal gewesen. Das Urteil lag schon fertig in der Schublade.

Wie wurden Sie von der Miliz behandelt?

Schlecht. Wir konnten zwei Nächte lang kaum schlafen. In unserer Nachbarzelle hat eine Frau bestimmt zwanzig Minuten lang wie am Spieß geschrien. Es klang nicht danach, als wäre sie misshandelt worden – wir glauben eher, dass man uns Angst machen wollte. Dafür spricht, dass uns ein Milizangehöriger vor Gericht mit diesem Geschrei begrüßte: Er hatte das auf seinem Handy aufgezeichnet.

Wie waren die Haftbedingungen im Gefängnis?

Nach den beiden Nächten bei der Miliz waren wir echt froh, als im Gefängnis die Tür hinter uns zu ging. Die Haftbedingungen dort waren wirklich okay, wenn auch nicht prickelnd. Wir hatten zu dritt eine Zelle von vielleicht acht Quadratmetern, dazu fünfzehn Minuten Ausgang am Tag in einem kleinen Käfig. Immerhin konnten wir uns duschen, und die Wachen waren zu uns deutlich freundlicher als zu den russischen Gefangenen.

Hatten Sie in dieser Zeit Kontakt zum deutschen Konsulat?

Zwei Mitarbeiterinnen vom Konsulat haben uns zweimal besucht und uns Essen und Wasser gebracht. Die Leute vom Konsulat haben auch unsere Verbindung zur Außenwelt gehalten. Die waren sehr engagiert.

Wissen Sie, ob offizielle deutsche Stellen für Ihre vorzeitige Freilassung gesorgt haben?

Darüber wissen wir überhaupt nichts. Die Freilassung kam für uns auch völlig überraschend. Auf einmal kam ein Gefängnismitarbeiter zu uns und sagte: „Zu Hause“. Daraufhin haben wir unsere Sachen gepackt. Wir mussten dann noch eine halbe Stunde warten und hatten schon Angst, dass die Miliz vor dem Gefängnis schon wieder auf uns warten. Zum Glück durften wir dann aber ins Konsulat fahren und unsere Sachen abholen.

Haben Sie mitbekommen, wie viele Menschen sich in Bielefeld für Sie eingesetzt haben?

Während der Haft nur ein bisschen. Die Leute vom Konsulat haben uns erzählt, dass wir in Deutschland ein Medienthema sind. Als wir dann am Montag zum ersten Mal ins Internet gesehen haben, waren wir schon überwältigt von der Unterstützung. Die Leute von der Fachhochschule, von unserem Campussender Radio Hertz, dann die Online-Petition mit über 1.400 Unterschriften – das war schon klasse. Da waren sogar viele Leute dabei, die wir überhaupt nicht kannten: Aus Polen, aus Russland, quer durch alle Länder. Dafür möchte ich mich auch noch einmal bedanken.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Erfahrungen? Ist es zu gefährlich, sich in einem Land wie Russland politisch zu engagieren?

Für Ausländer ist es sicher weniger gefährlich als für Russen. Die russischen G-8-Kritiker haben sich auch deshalb gewünscht, dass viele Menschen aus dem Ausland kommen, damit sich die Miliz nicht zu viel erlaubt. Wir haben ja erlebt, wie sich Miliz und Gerichte die Beweise zurechtbiegen können. Das zeugt nicht unbedingt von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Unser Schweizer Freund Adrian Sauter sitzt noch immer im Gefängnis. Gleiches gilt für viele Leute aus Russland: Manche sind verschwunden, und keiner weiß, wo sie sind.

Was haben Sie jetzt vor?

Wir lassen das Ganze erst einmal sacken. Der Tag in Tallin war auf jeden Fall entspannend und gut für unsere Verfassung. Jetzt schauen wir mal, wann wir nach Hause fahren können.

Wollen Sie sich jetzt besonders politisch engagieren oder haben Sie die Nase voll?

Ich bin ohnehin politisch interessiert und beschäftige mich mit Themen wie G 8 und Globalisierung. Ob das jetzt mehr wird, weiß ich nicht.