: Business as unusual
Der Tel Aviver Schwulenaktivist Shahar Abramovich will sich von den Raketenangriffen der Hisbollah nicht einschüchtern lassen und plant trotz der Gewalt, den Gay Pride 2009 in seine Stadt zu holen
INTERVIEW KERSTIN SPECKNER
taz: Herr Abramovich, wie hat sich der Alltag in Tel Aviv seit der Eskalation der Gewalt verändert?
Shahar Abramovich: Oberflächlich hat sich nicht viel verändert. Wir gehen weiterhin regelmäßig zur Arbeit, das Leben geht seinen Gang. Allerdings gab es auch für Tel Aviv schon eine Raketenwarnung. Die Zeitung sind jeden Tag voller Meldungen über Opfer und voller Sicherheitshinweise. An meiner Arbeitsstelle haben wir eine Sicherheitsschulung bekommen, damit wir im Fall von Raketenbeschuss wissen, wo der nächste Bunker ist und wie wir uns im Ernstfall verhalten sollen. Ich arbeite für einen Fernsehsender und bekomme dadurch aus erster Hand mit, was jeden Tag passiert. Die Menschen in der Stadt sind nervös, viele sagen Partys ab. Hier läuft nicht Business as usual.
Haben Sie Angst?
Nicht wirklich. Tel Aviv und Jerusalem wurden schließlich noch nicht beschossen. Aber Israel ist ein kleines Land. Meine Familie kommt aus dem Norden, meine Eltern leben noch dort. Mein Geburtsort Nazareth wurde bereits getroffen. Mit wem ich auch spreche, jeder kennt jemanden, der von den Angriffen der Hisbollah betroffen ist. Hier haben die Menschen bis jetzt mehr Angst um ihre Freunde und Verwandten im Norden als um sich selbst.
Glauben Sie, dass die Raketenangriffe der Hisbollah noch lange anhalten werden?
Wir sprechen hier mittlerweile von einem Krieg. Der Konflikt dauert zwar schon Jahre an, aber zuvor gab es zumindest einen Waffenstillstand. Die Hisbollah muss endlich gestoppt werden. Sie greifen Israel massiv an, es sind ja nicht nur ein paar Raketen, die sie über die Grenze schießen, sondern hunderte, die auch Opfer fordern. Wir müssen uns verteidigen, wir können uns nicht gefallen lassen, dass wir fortwährend angegriffen werden und die libanesische Regierung die Hisbollah nicht aufhalten kann. Wirklichen Frieden kann ich mir im Moment gar nicht vorstellen. Ein Waffenstillstand wäre schon ein schönes Ziel. Ich hoffe natürlich, dass die Gewalt bald vorbei ist, aber im Moment sieht es leider nicht danach aus.
Sie wollen 2009 das Schwulenevent Euro Pride in die Stadt holen. Hat die jetzige Situation Auswirkungen auf die Bewerbung von Tel Aviv?
Nein. Die Leute sollen zu uns nach Israel kommen. Bis dahin sind zwar noch drei Jahre Zeit, aber wir müssen dieses Zeichen jetzt setzen: Wir lassen uns nicht von der Hisbollah vorschreiben, was wir tun dürfen und was nicht. In London fand der Euro Pride auch unmittelbar nach den terroristischen Anschlägen statt. Damit haben die Londoner gezeigt, dass sie sich ihr Leben nicht von Terroristen bestimmen lassen. Wenn Tel Aviv den Euro Pride 2009 bekommt, könnten die Europäer damit auch zeigen, dass sie uns unterstützen.
Hat Ihre Schwulen- und Lesbenorganisation Aguda auch palästinensische Mitglieder?
Ob wir offiziell palästinensische Mitglieder haben, weiß ich nicht. Jedoch unterstützen wir auch arabische Schwule, die oft erhebliche Probleme haben. Außerdem stehen wir im Kontakte zu Leuten in arabischen Ländern. Wir kümmern uns beispielsweise um Schwule aus Marokko, die hier einen Aufenthaltstitel brauchen, weil sie zu Hause in Gefahr sind.
Haben Sie palästinensische Freunde?
Keine wirklich guten Freunde von mir sind Palästinenser. Aber ich habe viele arabische Bekannte in Syrien und dem Libanon. Als die Bombardements begannen, habe ich im Internet viel mit ihnen gechattet, weil mich interessierte, wie die Leute in diesen Ländern jetzt denken, ohne mich auf die offiziellen Statements der Regierungen oder der Hisbollah zu verlassen. Ich glaube, die Menschen auf beiden Seiten wollen in Frieden leben.
Shahar Abramovich ist Fernsehjournalist und Koordinator der israelischen Schwulen- und Lesbenorganisation Aguda und lebt in Tel Aviv