: Genervter General vor Gericht
JUGOSLAWIEN-TRIBUNAL Als „Kreatur der Nato“ beschimpft der Exgeneral Ratko Mladic das Tribunal. Kein Wort mehr, weder für noch gegen Karadzic
RADOVAN KARADZIC
AUS DEN HAAG TOBIAS MÜLLER
Zum Abschied schickt der General eine letzte Tirade hinüber zu den Richtern. Noch einmal schimpft er auf das „satanische Tribunal“, dann winkt Ratko Mladic den Journalisten hinter der Glasscheibe zu. Er blickt zur Anklagebank, wo der Mann sitzt, den er noch immer mit „Herr Präsident“ anspricht. Doch Radovan Karadzic zeigt keine Regung. Mladic zetert und flucht, während ihn zwei Polizisten aus dem Saal führen.
In den 20 Jahren seines Bestehens hat das Jugoslawien-Tribunal in Den Haag einige Turbulenzen erlebt. Selten ging es dabei so bizarr zu wie bei der ersten öffentlichen Begegnung zwischen Radovan Karadzic, dem Expräsidenten der bosnischen Serben, und seinem früheren Armeechef Ratko Mladic. Gegen beide wurde bereits 1995 erstmals Anklage erhoben: wegen der vermeintlichen Verantwortung für den Genozid von Srebrenica. Nun gehören Karadzic und Mladic zu den letzten großen Fällen, die das UN-Tribunal verhandelt.
Ratko Mladic, dessen eigenes Verfahren 2011 eröffnet wurde, fürchtet, sich durch eine Zeugenaussage selbst zu belasten. Er „verweigere die Aussage aus gesundheitlichen Gründen und weil dies meinen eigenen Fall beeinflussen würde“, sagt Mladic. Dabei hat das Gericht unter Vorsitz von O-Gon Kwon ihn Ende des letzten Jahres unter Strafandrohung vorgeladen, im Prozess gegen den Expräsidenten auszusagen. In Den Haag rätselte man daher, ob er überhaupt kommen würde. Aber dann steht er im Zeugenstand. Grobschlächtig wirkt der General, trotz eines hellgrauen Anzugs und der blaugestreiften Krawatte.
Karadzic will ihn zu Srebrenica und Sarajevo befragen, ob es Absprachen zwischen ihnen gab, Pläne für Exekutionen, Scharfschützen- und Artillerieterror und Vertreibungen. Er will, das ist deutlich, dass sein General ihn entlastet. Karadzic wittert Morgenluft, seit der Gerichtshof ihn zwischenzeitlich vom Vorwurf des Genozids in mehreren bosnischen Kommunen freigesprochen hatte. Die Berufungskammer nahm den Anklagepunkt wieder auf. Die zehn anderen Punkte, darunter das Massaker von Srebrenica, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bleiben bestehen.
Doch Mladic sträubt sich. Zu Beginn ergreift sein Anwalt Branko Lukic das Wort. Seit einem Schlaganfall leide sein Mandant an Erinnerungslücken, zudem könne er die Wahrheit nicht von Erfundenem unterscheiden und daher nicht aussagen. Richter Kwon zeigt sich unbeeindruckt und will Mladic vereidigen. Zweimal weigert sich der General, verflucht das Gericht als „Kreatur der Nato“, das „uns verfolgt, weil wir Serben“ sind. Dann leistet er schließlich doch den Eid und bittet umgehend um eine Pause, auf dass man sein Gebiss aus dem Gefängnis hole.
Nach der Pause gibt Karadzic mit randloser Brille und gewählter Sprache den Staatsmann. „Herr General“, fragt er, „haben Sie mich informiert über die Exekutionen in Srebrenica? Hatten wir beide je ein Abkommen, dass die Bevölkerung von Sarajevo Terror durch Scharfschützen und Artillerie ausgesetzt werden soll?“ Der General schweigt. Auch zu der Frage, warum Sarajevo beschossen wurde, oder ob es ein Abkommen gab, die bosnischen Muslime zu vertreiben, kein Wort. Nur ein Statement will er vorlesen, selbst verfasst, sieben Seiten. Richter Kwon will es nicht hören. Der Verhandlungstag ist erst einmal beendet.