Alle warten auf ein Wort aus Brüssel

POLITIK Vor sieben Jahren wurde der Ehegattennachzug erschwert. Die Proteste sind seitdem leiser geworden. Gegen Zwangsehen hat das Gesetz nicht geholfen

BERLIN taz | Als das Gesetz zum Ehegattennachzug vor sieben Jahren drastisch verschärft wurde, geschah das mit dem Argument, damit wolle man Zwangsehen verhindern. Ungebildete Importbräute, etwa aus der Türkei, würden so in die Lage versetzt, sich gegen ihre Zwangsverheiratung zu wehren, behauptete damals die Union. Kritiker monierten aber schon damals, das hehre Motiv sei nur vorgeschoben. In Wirklichkeit gehe es darum, eine unerwünschte Einwanderung zu verhindern.

Die Heiratsmigration stellt eine der wenigen Möglichkeiten dar, legal nach Deutschland zu kommen. „Implizit wurde mit den Neuregelungen auch das Ziel verfolgt, den Familiennachzug von Unqualifizierten (…) und eine ‚Zuwanderung in die Sozialsysteme‘ im Besonderen zu begrenzen“, stellte der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2011 in einem Gutachten nüchtern fest. Tatsächlich ging die Zahl der Familienzusammenführungen stark zurück.

Als das Gesetz erlassen wurde, liefen die meisten Migrantenverbände dagegen Sturm. Doch in den letzten Jahren ist es um das Thema ruhiger geworden. Aus dem Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union blieb es ausgeklammert. Und die Türkische Gemeinde in Deutschland bietet inzwischen sogar selbst Orientierungskurse für nachziehende Ehepartner an – in der Türkei. Jedes Jahr nehmen 300 Männer und Frauen teil.

Doch abgefunden haben will man sich mit der Situation nicht. „Alle warten auf die EU“, sagt Gemeinde-Vorsitzender Kenan Kolat. Er hofft, dass die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof ein Verfahren gegen Deutschland erwirkt. „Ich bin optimistisch, dass das Gesetz dann gekippt wird“, so Kolat.

Auch Sevim Dagdelen von der Linkspartei setzt auf das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission. „Diese Regelung diskriminiert Menschen mit geringerem Einkommen, einer ländlichen Herkunft und geringerem Bildungsniveau, insbesondere Analphabeten“, sagt die Bundestagsabgeordnete. „Der Schutz von Ehe und Familie darf keine Frage des Geldes oder der sozialen Herkunft sein.“

Linkspartei und Grüne sind dafür, lieber Sprachkurse in Deutschland anzubieten, statt den Deutschtest zur Bedingung für die Einreise zu machen. Das, glauben Experten, würde auch gegen Zwangsehen helfen. Zwar gäbe es immer mal wieder Frauen, die absichtlich durch die Sprachtests durchfallen, um einer Ehe in Deutschland zu entgehen, sagt die Frauenrechtlerin Rahel Völz von „Terre des Femmes“. Aber das sei eher ein Nebeneffekt der Deutschpflicht.

„Wir haben schon damals gesagt, dass das kein probates Mittel ist, um Zwangsheiraten zu bekämpfen.“ Besser sei es, die Frauen in Deutschland über ihre Rechte aufzuklären und zu beraten. Außerdem bräuchten sie ein eigenständiges Aufenthaltsrecht – unabhängig vom Ehepartner, fügt Naile Tanis vom „Koordinierungskreis gegen Frauenhandel“ hinzu. DANIEL BAX