: Gaukler und Illusionisten
Kongo? An Weihnachten sind alle Soldaten zu Hause! Arbeitslosigkeit? Schon bald gibt es genau 100.000 neue Jobs! Unseriöse, aber konkrete Festlegungen gehören zum politischen Handwerk
VON JAN FEDDERSEN
Jetzt eben ein Müntefering, Arbeits- und Sozialminister, außerdem Vizekanzler. Sagte er doch, ein gewisses Subventionsmodell für Lohnarbeit im sechsten Lebensjahrzehnt schaffe 100.000 neue Jobs. Oder jüngst der Verteidigungsminister, ein Mann namens Jung. Auf die Bundeswehrhilfe zur Wahlbeobachtung im Kongo angesprochen, teilte er mit, die Soldaten seien Weihnachten alle wieder zu Hause. Oder die wie eine mosaische Gesetzestafel formulierte Verheißung von Kanzler Schröder, unter seiner Ägide würden sich die Arbeitslosenzahlen halbieren (oder so ähnlich).
So reden Politiker, kennt man doch, nicht wahr, sagen fast Überkonkretes, verharren nicht im Vagen („Kann sein, dass es bald mehr Jobs gibt“) oder Möglichen („Eventuell schaffen wir es, aus dem Kongo nach Auszählung der Stimmen ohne Händel zu kommen“) – sondern legen sich fest. Dass es allesamt rhetorische Schleifen zur bald eintretenden Besserung der allgemeinen Sorge sind, wissen sie vermutlich selbst – wüssten sie es nicht, hielte man sie bei näherer Betrachtung für debil. Kombilohn taugt nix, allenfalls für Einzelne, doch nicht, um die Arbeitslosenzahlen zu senken; das Ungute an der Zukunft der Bundeswehr in Afrika ist, dass sie in der Zukunft stattfindet – auch aus dem Irak versprachen die USA abzuziehen kurz nach Saddams Sturz. Schröder, wie andere Lautsprecher vor ihm, Kohl oder Schmidt, sind tatsächlich bei Trost.
Fäden in der Hand
Aber die Lösung des Rätsels, warum sie sagen, was sie nicht wissen oder nicht ernsthaft weissagen können, liegt darin begründet, dass Politiker (oder Politikerinnen) tun müssen, was sie eben zu tun haben (und wir über die Medien vernehmen): Kompetenz vorspiegeln, Illusionen als harte Münze verkaufen, vor allem den Eindruck erwecken, dass sie die Fäden als solche in der Hand halten.
Niemand wird sich, es sei, jemand wollte sein oder ihr Karriereende selbst verkünden, zu sagen trauen: „Keine Ahnung, wie das mit den älteren Arbeitnehmern ist, ich bin ratlos.“ – Oder: „Kongo? Müssen wir machen. Wir sind doch eine Weltgemeinschaft. Hoffentlich geht alles gut.“ – Gar: „Arbeitslosenzahlen? Könnten steigen. Ganz dolle. Die meisten proletigen Deutschen haben nämlich nicht das Profil, einen der Jobs auszufüllen, die wir schaffen – sie sind weder gebildet noch mobil genug. Haben doch alles. Gegen florierende Sattheit kann man nicht Politik machen, ohne an sozialdemokratischer Aura zu verlieren.“
Kein Politiker kann ehrlich sagen, was Sache ist, nämlich nicht die seine, die er beeinflussen könnte; zumal das Volk ihnen ohnehin alles abspricht, worauf dieses zählen möchte: Sachverstand – der schließlich mit einer fast jesuanisch anmutenden Omnipotenz beantwortet wird.
Selbst die Kassandren marktliberaler oder sozialbettender Einfärbung (Metzger, Henkel, Höhler bzw. Engelen-Kefer, Hickel, Buntenbach), ihre Gläubigkeiten („Alles muss anders werden“ oder „Wir befürchten das Schlimmste“) tun nur so, als wüssten sie über eine gesunde Skepsis hinaus, was zu tun wäre. Eingebunden in Regelwerke, laufende Verträge und andere Sicherungssysteme zur Verhinderung eines anarchisch anmutenden Bürgerkriegs, quaken sie wie Frösche auf dem drögen Grund ihres Brunnens und haben doch keine Ahnung, was für eine Welt sich jenseits ihres schmalen Horizonts auftun könnte.
Konkrete Festlegungen von Politikern sind also Teil eines Spiels, aus dem es kein Entrinnen gibt: Das Volk beschwert sich und wünscht Prophezeiungen; Politiker liefern sie – und wissen, dass sie per definitionem wertlos sind; die Opposition macht sich zum Tribun der Leserbriefschreiber und Meckerer und könnte es doch nicht anders; das Volk nagelt die Politiker auf seine Weissagungen fest und hat auf seine Art Recht. Und die Medien verrühren alles hübsch, wie es ihrer Weltanschauung entspricht. Die einen sagen so, die anderen so: Differenz als erratisches Konstrukt von Lug und Trug.