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Archiv-Artikel

Der Ball als Kunstevent

Gehört der Fußball ins Museum? Die Ausstellung „Globus Dei – der Ball und die Kunst“ im Bottroper Quadrat zeigt, dass das Runde in der Tat ins Eckige gehört – auch in die Ecken eines Bildesrahmens

Der Fußball und die bildende Kunst entstammen der gleichen UrsuppeWas kann ein Fußballfan anderes sammeln als Panini-Bildchen?

VON LUTZ DEBUS

Auch nach der Weltmeisterschaft gibt es tatsächlich noch Fußball im Revier, zumindest im Museum. Im Quadrat in Bottrop ist bis zum 10. September die Ausstellung „Globus Dei – der Ball und die Kunst“ zu sehen. Aber Kunst und Fußball, passt das überhaupt zusammen? Nach einem Rundgang ist die Frage klar zu beantworten. Natürlich! Letztlich entstammen der populäre Ballsport und die bildende Kunst der gleichen Ursuppe.

Der Beweis dieser These ist gleich zu Beginn der Ausstellung auf einem Foto von Andreas Gursky zu sehen. Ein Fußballmatch im Matsch. Die lehmbeschmierten Spieler einer Amateurbegegnung vor menschenleerer Tribüne deuten Bewegungen archaischer Anmut an. Fußball als Ausdruckstanz und der Fotograf als der Dokumentierende dieses Tanzes. Bei dem zweiten Bild des Künstlers drängt sich die Parallele Dessau/Schalke auf. Das direkt von oben abgelichtete Spielfeld wirkt mit seinen klaren weißen Linien auf grünem Grund wie bei Bauhausens zu Haus. Nur die Spieler sehen aus wie nicht dazugehörige Insekten, stören die Ästhetik von Strafraum und Mittellinie. Fazit: nur die richtige Perspektive und der richtige Augenblick, und schon wird aus Gebolze Erhabenes.

Einen Schritt weiter in Richtung Verfremdung geht Heinrich Kappenberg. Luftaufnahmen von weltbekannten Stadien hat er so lange durch die Grafikprogramme seines Computers gejagt, bis nur noch die Umrisse als Bleistiftstriche zu sehen sind. Dort aber, wo das Spielfeld zu verorten ist, hat der Künstler grüne Acrylfarbe aufgetragen. Kunstrasen eben. Auf der gegenüber liegenden Seite des Austellungraumes beginnt echte Popart. Dem Wolfgang-Petry-kompatibelsten Fußballspieler aller Zeiten wird mit einer Serie von fiktiven Plattencovern gehuldigt. Völler als Carrell. Uns Rudi. Tante Käthe Superstar. Vinylscheiben mit Schnulzen drauf würden in diesen Kunstobjekten ihr verdientes Grab finden.

Mehr ein Sammler und Sortierer ist Olivier Cablat. Was kann man als Fußballfan anderes sammeln als Panini-Bildchen? So auch Cablat. Aber er klebt sie falsch ein. Nicht nach Mannschaften und Nationen geordnet sondern nach seinen eigenen Maßstäben. Die rundesten und ovalsten Köpfe steckt er in einen Bilderrahmen. Glatzkopf reiht er an Glatzkopf. Auch die wasserstoffsuperoxydgefärbten dunkelhäutigen Fußballer schauen nebeneinander betrachtet fast schon anmutig aus. Aber nicht nur an bloßen Äußerlichkeiten orientiert sich Cablat. Die am konfusesten dreinblickenden Fußballer finden genauso ihren sie umklammernden Rahmen wie die depressivschauenden. Panini als Verbrecherkartei. Panini als psychologische Studie. Aus Sammelbildchen Kunst zu machen ist auch eine Kunst.

Ganz klar bildende Kunst – weil Ölmalerei – sind die Gemälde von Andrea Meng. „Eins zu Null“ ist eine Charakterstudie der ehemaligen Nummer Eins des deutschen Fußballes. Noch schwulstiger als in der Realität hat die Künstlerin Lippen und Augenbrauen dargestellt. Der frühere Nationaltorhüter steht vor seinem sauberen Kasten und lässt sich unflätige Beschimpfungen eines Gegenspielers gefallen. Kahn quasi als Mann mit dem Goldhelm.

Apropos Gold. Da tritt doch tatsächlich eine vergoldete Eisenfigur auf marmornem Sockel, ein Stürmer, vielleicht auch ein Mittelfeldspieler, nicht gegen den Ball sondern in eine vergipste Trennwand des Museums, gräbt seinen Fuß tief ins Mauerwerk. Normalerweise stehen solche Figürchen in Vitrinen von verrauchten Eckkneipen. Auf dem Sockel noch ein Messingschild, das den Sieg im Alteherrenturnier des örtlichen Autohauses verkündet. Kaum aus der Vitrine befreit, ins Kunstmuseum entlassen, benimmt sich der Nippes daneben.

Zum krönenden Abschluss präsentieren die Ausstellungsmacher Fußball der Superlative. Aus 3.003 Fotoabzügen, geknipst von einer Überwachungskamera, puzzelte Jules Spinatsch ein Panoramabild zusammen. Zu bewundern ist das WM-Qualifikationsspiel Frankreich gegen die Schweiz vom vergangenen Jahr. Da so eine kleine Überwachungskamera etwa 90 Minuten benötigt, um ein ganzes Stadion zu fotografieren, entsteht eine Patchworkarbeit, die eine chronologische Sortierung vorgaukelt. Ein halber Spieler krümmt sich im Schmerz. Ein paar Bildchen weiter links spielt er schon wieder munter mit. Ein Teil des Tribünenvolkes schwingt übermütig Schweizer Fahnen. Ein Stückchen weiter oberhalb hängen die rotweißen Lappen geknickt rum.Tausendfach die Brüche der Wahrnehmung. Ob Insekten so Fußball schauen?

Insgesamt eine kleine, feine Kunstsammlung. Und sie passt nach Bottrop. Im ehemaligen Land der 1.000 Feuer war früher jede Teppichstange ein Fußballtor. Klar, die Zeiten sind vorbei. Statt Kumpel und Stahlwerker, so scheint es, wohnen nur noch Hartz-IV-Empfänger und Kulturhauptstädtler im Revier. Aber dazu passt diese Ausstellung. Der einstige Proletensport als Kunstevent. Das Runde muss ins Eckige. Dem Quadrat in Bottrop ist dies gelungen.