Aus Leipzigs Ruinen in die Welt

Als Rolf Kühn 1929 im präfaschistischen Deutschland das Licht der Welt erblickte, wäre der folgende Lauf der Weltgeschichte genauso surreal erschienen, wie Kühns Lebensweg und Karriere im Rückblick aussehen. Bereits in jungen Jahren virtuoser Klarinettist, beginnt er seinen Aufstieg kurz nach dem Krieg in der sowjetisch besetzten Zone, in Leipzig, als Solist beim Gewandhausorchester, genauso wie bei der Bigband des Mitteldeutschen Rundfunks. 1950 zieht es ihn nach (West-)Berlin, wo er beim Rias erster Saxofonist wird. Nur wenige Jahre später geht das Ausnahmetalent in die Vereinigten Staaten, wo er unter anderem mit Benny Goodman arbeitete und gelegentlich auch als dessen stand in fungierte. In den Sechzigerjahren schließlich leitet er das NDR-Fernsehorchester in Hamburg und tritt ab 1966 gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder, dem Pianisten Joachim Kühn auf. Es folgten unzählige Aufnahmen, hochkarätige Kooperationen, Arbeiten als Dirigent und Komponist. Die Musikjournalistin Maxi Sickert hat in Gesprächen und Recherchen diese ungewöhnliche Musikbiografie der Nachkriegszeit rekonstruiert. Eine Zeitreise aus den Ruinen Leipzigs über New York ins neue Berlin. Im Anschluss an die Lesung lässt Rolf Kühn gemeinsam mit seiner Band „Tri-O“ den Abend im Glashof des Jüdischen Museums mit einem Konzert ausklingen. Und wenn man schon mal da ist, lohnt sich vor der Veranstaltung eventuell ein Blick in die Ausstellung „Helden, Freaks und Superrabbis – Die jüdische Farbe des Comics“, die nur noch bis 8. August im Altbau einen kompakten Querschnitt des Einflusses der Emigrationsgeschichte und der Holocaust-Erfahrung jüdischer Zeichner und Texter auf die (vornehmlich us-amerikanische) Comic-Kultur präsentiert.

■ Clarinet Bird – Jazzgespräche: Lesung und Konzert mit Maxi Sickert und Rolf Kühn: 30. Juli, 19.30 Uhr, Jüdisches Museum, Lindenstr. 9–14 10/7 Euro