: Nur der Parmesan bleibt übrig
Paderborn zeigt mit „Canossa–Die Erschütterung der Welt“ wieder eine Mega-History-Show
VON PETER ORTMANN
So richtig krachen lassen hat es die katholische Kirche im Herbst 1076. Papst Gregor VII. verhängte über Heinrich IV. den Bann. Zu oft hatten sich weltliche Herrscher in Personalentscheidungen des Vatikans eingemischt, hatten Bischöfe ernannt und wieder fortgejagt. Laien bestimmten über Päpste. Das Fass lief über, die Konfrontation erschütterte die aufgeklärte Welt.
Was damals in der Weltpolitik folgte, war ein G2-Treffen und das ist als „Gang nach Canossa“ in die Geschichte eingegangen. Seit heute dokumentieren über 700 Exponate in Paderborn diesen Machtkampf, der im Januar 1077 entschieden wurde. Die weltliche Macht knickte (kurzfristig) vor Rom ein. Heinrich IV. hatte keine Lust, auf Macht, Einfluss und nettes Einkommen zu verzichten. Er machte sich bei Eis und Schnee auf den Weg über die Alpen und spielte den reumütigen Büßer. „Für die Kirche war die Zeit von außerordentlicher Bedeutung“, sagt heute Alfons Hardt, Generalvikar des Erzbischofs von Paderborn. Das Bistum trägt den Hauptanteil an der fünf Millionen Euro teuren, dafür aber mächtig werbewirksamen 100-Tage-Megashow in drei Museen. Hans Behringer vom Wirtschafts-Sponsorenteam Kulturfonds bestätigte die Marketing Prämisse, an der auch Bundespräsident Horst Köhler als Schirmherr und Eröffnungspromi nicht fehlen darf: „Ein Produkt wurde zur Marktreife gebracht“. Geholfen hat da die kunstgeschichtlich hervorragende Qualität der Exponate, selbst der Vatikan öffnete gern seine überquellenden Schatzkammern. Geholfen hat auch die Ausstellungskonzeption von Szenografen und die Hoffnung auf über 300.000 Besucher in Paderborn, wo man vor Jahren mit einer Karolinger-Ausstellung bereits Erfolge gefeiert hat.
Parallel konnte das Diözesan-Museum angefallene Forschungs- und Konservierungsarbeiten erledigen und finanzieren. Quasi im Windschatten, so Alfons Hardt. Auch der Landschaftsverband Westfalen Lippe (LWL) hat mit einer halben Million geholfen. „Das ist eine Präsentation von europäischem Rang“, sagt der neue LWL-Direktor Wolfgang Kirsch (CDU). Schon die Karolinger-Expo sei für den von Kommunen finanzierten Landschaftsverband die erfolgreichste Ausstellung gewesen.
Windschatten hätte auch König Heinrich IV. gebraucht, als er bei Schnee und Eis über die Alpen nach Canossa reiste. Doch in seinem Rücken drohte Sturm und ein Ultimatum. Süddeutschen Herzöge als seine radikalsten Gegner hatten vor seiner Abreise versucht, eine Neuwahl zu erwirken. Innerhalb eines Jahres hatte er sich aus dem Kirchen-Bann lösen müssen, um sein Königtum zu behalten. Die Fürsten wählten sogar noch nach der Wiederaufnahme des Monarchen in die Kirche mit dem Herzog Rudolf von Rheinfelden in Forchheim einen neuen deutschen König, den Papst Gregor VII. dann auch bestätigte und den armen Heinrich wieder mit einem Bann belegte. Doch der sollte nach ein paar Jahren wieder gestärkt im Sattel sitzen.
Wie wichtig Canossa für die Welt wirklich war, ist bis heute umstritten. Die existierenden Quellen stammen wohl in der Hauptsache von Protagonisten des Papstes und sind dementsprechend politisch gefärbt. „Sicher wissen wir nichts“, bestätigt Christoph Stiegemann, Direktor des Erzbischöflichen Diözesanmuseums. Er glaubt, das die Menschen des 11. Jahrhunderts dachten, die Apokalypse käme und das entspräche auch dem bundesdeutschen Gefühl am Anfang des dritten Jahrtausends.
Dazu passt auch, dass die Dritte in der Auseinandersetzung der Mächtigen eine Frau war. Mathilde von Tuszien war Markgräfin auf der Burg Canossa und trat Papst Gregor VII. entgegen, um die Lösung vom Kirchenbann zu erreichen. Ihre Geschichte in Buchform (Vita Mathildis) gilt als erste Aufzeichnung einer Frau, die nicht Heilige, sondern weltliche Protagonistin war. Die reich verzierte Schrift von Donizo, einem der papsttreuen Gefolgsleuten der Markgräfin, ist eines der Ausstellungs-Highlights. Im Paderborner Museum in der Kaiserpfalz ist die Seite aufgeschlagen zu sehen, in der Heinrich IV. vor Mathilde kniet und nicht vor dem Papst. Ihm begegnete er nur im traditionellen Büßergewand. Die 700 Exponate sind auf drei Museen aufgeteilt, die fußläufig locker abgewandert werden können, wenn der Besucher Spaß daran hat, endlos Bücher, Kreuze und goldenes Geschmeide zu betrachten. Die Szenografen haben sich Mühe gegeben, diese Unübersichtlichkeit thematisch und visuell aufzulockern, denn nach dem zehnten, natürlich üppig verzierten, Weihwasser-Gefäß aus Gold hat eigentlich jeder die Nase voll vom angesammelten Reichtum der Kirche.
Auch für das Dorf Canossa ist das Gipfeltreffen der Herrscher beim Streit um Recht der Investitur (Ämtereinsetzung von Bischöfen und Äbten) nur noch ein Punkt in der Geschichte. In der italienische Gemeinde in der Emilia-Romagna leben heute rund 3.000 Einwohner. Die Burg ist längst eine Ruine. Bereits 1878 hatte der italienische Staat sie von Graf Valentini erworben und zum Nationaldenkmal erklärt, nur der weitere Verfall wird verhindert. Erschüttert wird die etwas verschlafene Kommune nicht mehr, hier lebt man weniger vom Tourismus, sondern von kulinarischen Genüssen, von Parmesan-Käse und Wein. Während die Mächtigen der Welt auch heute weiter ihre Spielchen spielen, der Parmesan bleibt.
Bis 5. November 2006Infos: www.canossa2006.de