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Archiv-Artikel

Raus aus der Fahrgemeinschaft

Andreas Klöden hatte vor der dritten Alpenetappe Gelb im Blick, doch Landis feiert ein grandioses Comeback

CHAMBERY taz ■ Wenn man Andreas Klöden nach der Kapitänsrolle im Team T-Mobile fragt, dann windet sich der schmächtige Mann aus Cottbus noch immer. „Ja, sicher, ich beginne mich damit anzufreunden“, sagte er am zweiten Ruhetag der Tour, die Pyrenäen hinter und die Alpen vor sich. Da lag er auf Platz sieben des Gesamtrankings, in deutlicher Greifweite des gelben Trikots. Sein australischer Mannschaftskollege Michael Rogers, ein selbstbewusster, frecher Mann, lag zwar knapp hinter Klöden, doch hatte der in den Pyrenäen bereits gezeigt, dass er der deutlich bessere Bergfahrer ist. Trotzdem sagte Klöden: „Ich teile mir die Rolle ein wenig mit Michael.“ Auf dem gestrigen Abschnitt nach Morzine verlor Klöden Zeit auf seine Konkurrenten. Nach einer famosen Fahrt gewann der US-Amerikaner Floyd Landis die Etappe, mit über fünf Minuten Vorsprung vor dem Spanier Carlos Sastre; in Gelb fährt weiterhin dessen Landsmann Oscar Pereiro, doch Sastre und Landis sind knapp dahinter – 12 und 30 Sekunden. Klödens Rückstand auf den Führenden: 2:29 Minuten.

Schon zu Beginn der Tour, nachdem Jan Ullrich abgereist war, wäre Klöden der logische neue Leader im Team t-Mobile gewesen. Schließlich war er vor zwei Jahren Zweiter der Tour de France – zwei Plätze vor Ullrich. Doch es war ein anderer, der nach den Strassburger Schockmomenten das Heft des Handelns in die Hand nahm. „Matthias Kessler war von Anfang an derjenige, der uns angetrieben und motiviert hat, das Ding hier durchzuziehen“, gab Andreas Klöden zu.

Dass er zum Schluss, wenn es darauf ankommt, noch einmal alles aus sich herausholen kann, hat er schon 2004 gezeigt. Damals überholte er ebenfalls auf dem letzten Zeitfahren noch Ivan Basso, um sich auf Platz 2 hinter Armstrong vorzukämpfen. Auf dem Siegerpodest in Paris zog Klöden damals vor dem Amerikaner den Hut und verbeugte sich. Eine sportliche Geste. Einerseits. Andererseits hätte Armstrong in Klödens Situation vermutlich dem Sieger zugeraunt, dass er ihn im nächsten Jahr fressen werde. Klöden blieb damals jedoch brav bei T-Mobile, um weiter Ullrich zu assistieren, obwohl er ihn doch gerade abgehängt hatte. Viele verstanden damals die Nibelungentreue zu Ullrich nicht, gegen den Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Bonn wegen Betrugs und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz gestellt worden ist. Jede Mannschaft der Welt hätte um Klöden herum eine Formation aufgebaut, um die Tour zu gewinnen, und ihn mit Millionen überhäuft. „Ich glaube, Andreas weiß gar nicht, was er wert ist“, sagte damals sogar sein Manager Tony Rominger. Doch Klödi, wie Ullrich und andere bei T-Mobile den Tour-Mitfavoriten nennen, wollte nicht die Trainings- und Fahrgemeinschaft mit Ullrich gefährden. Schließlich sind sie Nachbarn in der Schweiz, zehren von einer gemeinsamen Kindheit im System der DDR-Sportschulen, fahren jeden Tag zusammen Rad und trinken abends manchmal ein Glas Rotwein. So war das jedenfalls bisher. Auch jetzt noch hält Klödi zu Ulli. Immer wieder sagt er, dass er diese Tour für ihn fährt.

Dabei gibt Klöden auf dem Rennrad überhaupt nicht das Bild von einem ab, der im Schatten eines anderen steht, Aufmunterung braucht oder irgendwie gehemmt ist. Er fährt selbstbewusst, er attackiert bisweilen, ist mutig und clever. Alles Dinge, die man bei Ullrich in den vergangenen Jahren vermisst hat.

Immerhin scheint es Klöden langsam zu dämmern, dass jetzt endlich seine Zeit gekommen ist. Sein Vertrag bei T-Mobile läuft Ende diesen Jahres aus. Im Frühjahr hatte er angekündigt, weggehen zu wollen. Er wollte wohl mit 30 nicht mehr viele Karrierejahre verschenken, zumal sein erster großer Profi-Sieg bei der renommierten Fernfahrt Paris–Nizza schon sechs Jahre zurückliegt. Sechs Jahre, in denen Klöden im internationalen Profi-Geschäft hätte absahnen können, anstatt für andere am Mannschaftsauto Flaschen zu holen.

Mit der veränderten Situation bei T-Mobile überlegt sich Klöden, nun doch bei T-Mobile zu bleiben. Als Chef. Überzeugend spielt er diese Rolle allerdings noch immer nicht. Erst einmal müsse man jetzt abwarten, was sich mit Ullrich ergebe und ob das alles auch stimme, was ihm vorgeworfen wird, sagt er. Klöden möchte nicht die Leiche seines Kumpels vor dem Begräbnis fleddern, und das ehrt ihn sicherlich. Aber vielleicht täte es ihm besser, endlich einmal an sich selbst zu denken. Auf der Straße gelingt ihm das ja schon.

SEBASTIAN MOLL