: Halbherzige Razzien gegen die Taliban
Pakistanische Sicherheitskräfte verhaften bisher 200 mutmaßliche Taliban in der Provinzhauptstadt Quetta und wollen sie nach Afghanistan abschieben. Es ist zu befürchten, dass dies nur ein halbherziges Zugeständnis an Washington und Kabul ist
AUS ISLAMABADNILS ROSEMANN
Den vierten Tag infolge nehmen pakistanische Sicherheitskräfte Afghanen in der belutschischen Provinzhauptstadt Quetta fest. Bereits im Oktober 2005 wurde dort Talibansprecher Abdul Latif Hakimi festgenommen. Der Festnahme des früheren Talibanbefehlshabers der südafghanischen Provinz Helmand, Mullah Hamdullah Achaksai, am Montag folgten Razzien in lokalen Koranschulen. „Die Zahl der festgenommenen Afghanen liegt bei über 200, und die meisten sind Taliban, die aktiv in ihrem Land gekämpft haben“, erklärt Belutschistans Polizeichef Chaudhri Mohammed Jakub.
Damit bringt die Regierung in Islamabad nun Bauernopfer für den Verbündeten USA. Zwar sollen die Festnahmen von der Provinzregierung ausgegangen sein, doch deutet alles auf Islamabad. Denn an der Provinzregierung beteiligt sich auch das islamistische Parteieinbündnis Vereinigte Aktionsfront. Diese unterstützt die Taliban und verfolgt ebenfalls das Ziel eines Gottesstaates. Maulana Hafis Hussain Scharodi, Informationsminister Belutschistans und Parteimitglied der Partei der Islamischen Gelehrten, betonte bereits 2003: „Die Zeit des [afghanischen Präsidenten] Karsai ist vorbei. Nur die Taliban können eine wahrhafte Regierung in Afghanistan bilden.“
Die in Quetta festgesetzten Personen gehören zu 2,5 Millionen afghanischen Flüchtlingen, von denen 231.000 seit 20 Jahren in Belutschistan leben. Nicht alle sind Taliban, aber aus der Sympathie mit den Radikalislamisten machen die Ladenbesitzer in Quettas Kusi-Straße keinen Hehl. Poster von Al-Qaida-Chef Ussama Bin Laden und Talibanführer Mullah Omar stehen ebenso zur Auswahl wie in den Hinterzimmern Kassetten mit Hetzreden oder Schusswaffen. „Wir gehen nicht heim, bis Bushs Marionettenregime in Kabul beseitigt ist“, sagt ein Ladenbesitzer.
Nach dem Sturz der Taliban Ende 2001 zogen sich viele ihrer Führer in ihre früheren Ausbildungszentren in Pakistan zurück. Bis Anfang dieser Woche lebten auch die nun verhafteten Führer offen unter den Augen der Sicherheitskräfte in Quetta. Die Taliban haben in Quetta nicht nur Unterschlupf und Unterstützer gefunden, sondern nehmen auch Recht und Ordnung in die eigene Hand. Der abtrünnige Führer Mullah Samad Baraksai alias Maulwi Jar Muhammed, ein früherer Provinzpolitiker in Helmand, wurde Anfang des Jahres auf offener Straße erschossen, nachdem er Karsais Regierung gelobt hatte. Das gleiche Los ereilte im Mai der einstigen Talibankommandeur Mullah Sainuddin Kochni für seine Kooperation mit pakistanischen Sicherheitskräften.
Zentrale Orte der Restrukturierung und Anwerbung neuer Taliban sind Quettas Moscheen und Koranschulen, unter ihnen die Schaldara-Madrassa. Sie wird von Maulana Nur Mohammed geleitet, einem Mitglied der Partei der Islamischen Gelehrten. Der religiöse Führer sitzt für die Vereinigte Aktionsfront im Parlament und spricht nur von moralischer Unterstützung. „Der heilige Koran lehrt, dass der Heilige Krieg die Verantwortlichkeit eines jeden Muslims ist“, so Nur. Sein Stellvertreter, Maulana Abdul Kadir, geht weiter: „Wir müssen sicherstellen, dass ganz Pakistan die Taliban unterstützt.“
Zumindest die offizielle Unterstützung für die Taliban scheint nun zu schwinden. „Alle Festgenommenen sind Taliban und Reservisten, keine Koranschüler. Es sind Afghanen, die hier illegal leben“, sagt Salam Said, Belutschistans stellvertretender Polizeichef. Nach Verhören sollen sie nach Afghanistan abgeschoben werden. Sollten sie lediglich an die Grenze gebracht werden, erwiese Pakistans Militär der afghanischen Regierung und den Koalitionstruppen in Kandahar und Helmand einen Bärendienst. Denn diese afghanischen Südprovinzen sind das Ziel der Sommeroffensive der Taliban.
Allein den Grenzübergang Chaman passieren täglich bis zu 15.000 Personen. Eine Kontrolle ist dort nur stichprobenartig möglich und an den restlichen 1.400 Kilometern ungesicherter Grenze gar nicht. Die Festnahme bekannter Taliban in Quetta könnte sich erneut als halbherziges Zugeständnis Islamabads an die internationalen Forderungen herausstellen, mehr gegen den Terrorismus zu tun.