Die Frage nach dem Volksbegriff

STAATSRECHT Bremen will das Wahlrecht erweitern: Nichtdeutsche EU-BürgerInnen sollen künftig an Landtagswahlen teilnehmen dürfen, Nicht-EU-BürgerInnen an Kommunalwahlen. Am Freitag wurde der Gesetzesentwurf vor dem Staatsgerichtshof verhandelt

Felix Hanschmann, juristischer Sachverständiger im Ausschuss „Ausweitung des Wahlrechts“ der Bremischen Bürgerschaft, hat sich souverän der siebenköpfigen Richterschar des Staatsgerichtshofs gestellt. Das Landesverfassungsgericht soll prüfen, ob das in erster Lesung beschlossene bremische Gesetz zur Ausweitung des Wahlrechts für AusländerInnen verfassungskonform ist – und nahm dafür am Freitag den Gesetzesentwurf unter die Lupe.

Als erstes Bundesland will Bremen das Ausländerwahlrecht so ändern, dass Zugewanderte aus anderen EU-Staaten das Landesparlament mitwählen dürfen. Das Wahlrecht zur Stadtbürgerschaft und den Beiräten soll auch auf Menschen aus Nicht-EU-Ländern ausgeweitet werden. Eine entsprechende Wahlrechtsreform billigte die Bürgerschaft im Januar 2013 und beschloss zugleich, den Gesetzesentwurf vor der endgültigen Verabschiedung dem Bremer Staatsgerichtshof zur Prüfung vorzulegen.

Bereits 1990 wollten Hamburg und Schleswig-Holstein das Ausländer-Wahlrecht einführen. Damals urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass nur Menschen deutscher Staatsangehörigkeit als das berühmte Volk gälten, von dem alle Macht ausginge. Diesem Urteil folgte ein Jahr später auch der Staatsgerichtshof Bremen, aber: 1992 trat der Vertrag von Maastricht in Kraft, und der erlaubt EU-Bürgern, an Kommunalwahlen an ihrem Hauptwohnsitz teilzunehmen – unabhängig davon, in welchem Mitgliedsstaat sich dieser befindet. Seit 1994 steht das auch in Artikel 28 des Grundgesetzes: „Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar.“ Zumindest auf kommunaler Ebene ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts also schon lange obsolet.

Daran sehe man auch, sagte Hanschmann, dass der Begriff „Volk“ entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht festgeschrieben sei, sondern interpretierbar. Er werde außerdem durch die Erweiterung der EU um neue Mitgliedsstaaten ohne Änderung des Grundgesetzes stets erweitert. Aus diesem Grunde bedürfe es auch keiner Grundgesetz-Änderung, um Bundesländern die Freiheit zuzubilligen, den Volksbegriff in ihrem Wahlrecht eigenständig zu definieren. Die bremische Verfassung enthalte jedenfalls keinerlei Definition des Begriffs „Volk“ bezüglich der Staatsangehörigkeit.

Wie der Staatsgerichtshof sich entscheiden wird, blieb nach Ende der Verhandlung offen; die RichterInnen stellten lediglich Fragen, äußerten sich selbst aber nicht: „Aus dem Verlauf können überhaupt keine Schlüsse gezogen werden“, sagte Hanschmann. Sollte der Gerichtshof die Gesetzesvorlage nicht für unvereinbar mit der bremischen Landesverfassung halten, sei es allerdings wahrscheinlich, dass er sie dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zur Prüfung vorlegen wird. Der Staatsgerichtshof wird sein Urteil am 20. März verkünden.  SIMONE SCHNASE