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Archiv-Artikel

„Wir bauen uns das Internet neu“

DISKUSSION Die Netzaktivistin und Piratin Anke Domscheit-Berg stellt in der Backfabrik ihr erstes Buch vor. Dabei ist sie sich mit Konterpart Frank Schirrmacher in vielen Fragen erstaunlich einig

„Nichts ist zu groß, um kaputtzugehen. Jeder, der Macht hat, kann sie auch wieder verlieren“

ANKE DOMSCHEIT-BERG

VON SVENJA BEDNARCZYK

Die fünf Männer an der Spitze der Frankfurter Allgemeinen sind ganz unter sich. Gerade mal zwei Frauen arbeiten in der Zeitung als Ressortleiterinnen. Das ist ein Frauenführungsanteil von 8,7 Prozent – was sagen Sie dazu, Herr Schirrmacher? Der Herausgeber der FAZ stöhnt. Eine höhere Quote sei personaltechnisch während der Zeitungskrise nicht machbar: „Wir können nicht mehr so einstellen wie in den 90ern.“

Schirrmacher sollte der Gegenpart zu Anke Domscheit-Berg sein, Gründerin von fempower.me und opengov.me, die in der Clinker Lounge der Backfabrik in Mitte ihr erstes Buch, „Mauern einreißen“, vorstellt. Ihre Hauptthemen sind Transparenz in der Politik und Emanzipation von Frauen in Unternehmen. fempower.me bietet Führungskräftetrainings für Managerinnen an, opengov.me will Verwaltungen öffnen. Bis auf die Sache mit der Quote sind sich die Piratin und der konservative Journalist erstaunlich einig.

Maschinen und Computer werden Arbeitsplätze zerstören, sagt Frank Schirrmacher. „Wir brauchen einen Agenten, der die Koexistenz zwischen Mensch und Maschine regelt.“ Auch Domscheit-Berg ist überzeugt: „Technologien werden die Produktionsverhältnisse ändern.“ Wenn jeder einen 3-D-Drucker zu Hause habe, brauche man den teuren Originalkameradeckel nicht mehr. Vollbeschäftigung werde es nicht geben, so die Piratin. Deshalb fordern sie und ihre Partei das bedingungslose Grundeinkommen.

Beim Thema der NSA-Affäre fährt Domscheit-Berg Parolen auf: „Wir bauen uns das Internet neu.“ Schirrmacher entgegnet, die Politik sollte das regeln. Überwachung sei keine temporäre Sache. Dass die Politik das in die Hand nimmt, will Domscheit-Berg auch, verpackt es aber anders: Sie macht Wahlkampf. Schließlich kandidiert sie als Europakandidatin der Piraten.

Das Ambiente, in dem Domscheit-Berg ihr Buch vorstellt, passt nicht recht zu ihren Forderungen à la „Lasst uns unsere Empörung massenhaft auf die Straße tragen“. Die Kellerlounge ist weiß gefliest und schick, es läuft Fahrstuhlmusik. Domscheit-Berg trägt Perlenkette und hängende Ohrringe. Die Lesung ist für Freunde, nicht für Aktivisten. Im Publikum sitzen ihr Mann Daniel Domscheit-Berg, ehemaliger Wikileaks-Sprecher, die Eltern der Autorin, einige Piraten und sogar ihre Grundschullehrerin. Denn „Mauern einreißen“ ist trotz des politischen Tons ein persönliches Buch.

Anke Domscheit-Berg wuchs im brandenburgischen Müncheberg in der DDR auf. Als sie den Fall der Mauer erlebte, war sie 21 Jahre alt. „Reisefreiheit! Das war großartig!“, steigt Domscheit-Berg in ihrem Buch ein. „Aber gleichzeitig sah ich darin das Aus für die große Vision eines demokratischen Sozialismus.“ Ein paar Tage nach der Wende stand sie auf der Berliner Mauer. Domscheit-Berg beschreibt das in ihrem Buch: „Es gab keinen Zweifel daran, dass es nie wieder, nie wieder so werden würde wie früher. Uns sperrt nie wieder einer ein.“

Diese Erfahrung muss sehr prägend gewesen sein. Sie schimmert immer wieder durch, wenn Domscheit-Berg über aktuelle Themen spricht, sei es staatliche Überwachung im Netz oder die Frauenfrage. Domscheit-Berg will sich kein zweites Mal mehr unterdrücken lassen.

Schirrmacher hingegen ist Wessi. Seit 1994 ist er Mitherausgeber der FAZ. Er druckte Texte aus Domscheit-Bergs Buch in der FAZ ab. Ende der 80er war er Leiter des Literaturredaktion. Seine Erinnerung aus der Zeit kurz vor dem Mauerfall: Der Historiker und Berater Kohls, Michael Stürmer, sei am 4. November 1989 in der Redaktion der Zeitung zu Besuch gewesen. Er soll gesagt haben, jetzt sei Winter, die Leute würden zurück in ihre Häuser gehen und die Mauer könne noch 50 Jahre stehen.

Sowohl Domscheit-Berg als auch Schirrmacher sind sich an diesem Abend sicher: Man könne sich auf nichts verlassen, was mit der Gesellschaft passiert. Oder wie es Domscheit-Berg im Parolenmodus sagt: „ ‚Too big to fail‘ gibt es nicht. Nichts ist zu groß, um kaputtzugehen“ – „Jeder, der Macht hat, kann sie auch wieder verlieren.“