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Archiv-Artikel

„Wir bevormunden unsere Besucher nicht“

DER MUSEUMSDIREKTOR Passt er mit seinem altertümlichen Bart nicht gut zu den Dinosaurierknochen in der Ausstellung? Nein, der Schein trügt: Johannes Vogel hat frischen Wind aus London mitgebracht, als er im Februar 2012 als Generaldirektor ans Berliner Naturkundemuseum kam. Seine Vision: ein Museum als Ort, wo Forschung und Gesellschaft in einen Dialog treten

Johannes Vogel

■ Der Mensch: Johannes Vogel wurde im Mai 1963 in Bielefeld geboren. Seine Mutter war Textilingenieurin, sein Vater baute Näh- und Webmaschinen. In Bielefeld studierte er Jura und Botanik. Nach einer anschließenden Studienzeit in Cambridge (England) promovierte er dort über Genetik. Vogel ist mit Sarah Darwin, der Ururenkelin des Begründers der Evolutionstheorie, Charles Darwin, verheiratet. Sie ist Vizepräsidentin des Galapagos Conservation Trust.

■ Der Museumsmann: 17 Jahre lange war Vogel am Natural History Museum in London tätig – erst als Spezialist für Moose, Pilze und Farne, seit 2004 als Leiter der Botanischen Abteilung. Im Februar 2012 wurde er Generaldirektor am Berliner Museum für Naturkunde. Das 1889 eröffnete Haus ist mit seinen 30 Millionen Objekten eines der 10 größten Naturkundemuseen der Welt. (plu)

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE FOTOS DAVID OLIVEIRA

taz: Herr Vogel, seit zwei Jahren sind Sie Generaldirektor des Berliner Museums für Naturkunde. Beschreiben Sie doch mal Ihren Führungsstil.

Ich bin sehr offen. Ich arbeite unheimlich gerne im Team. Ich provoziere gern. Daran mussten sich die Leute hier erst gewöhnen.

Haben Sie sich das von den Briten abgeguckt? Bevor Sie nach Berlin kamen, waren Sie 17 Jahre am Natural History Museum, London.

Ja. Auch witzig zu sein, selbstironisch. Das muss man in England lernen, sonst kommt man überhaupt nicht vorwärts. Humor ist ein super Führungstool …

und ein Türöffner?

Konfliktgeladene Situationen kann man immer mit Humor lösen, um sich dann wieder einer sachlichen Argumentation zu widmen. Aber ohne zu provozieren, ohne den Status quo herauszufordern, sollte auch keiner Generaldirektor werden.

Nicht alle Leute verstehen Humor.

In der Regel ist mir das egal.

Mussten Sie Entscheidungen treffen, die wehgetan haben?

In Berlin nicht. In London ja: Nach der Wahl 2010 mussten wir den Etat dort um 15 Prozent kürzen, was nicht ohne Entlassungen ging.

Trauern Sie der Zeit in London manchmal nach?

Überhaupt nicht. Die Herausforderungen hier sind viel größer. Das Natural History Museum in England ist eine Organisation mit einer langen Tradition ohne Brüche. Das Museum für Naturkunde steht dagegen für Brüche. Das macht die Sache so spannend. Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, DDR, Wende. Seit 2009 ist das Museum in der Leibniz-Gemeinschaft. Es geht kräftig vorwärts, es gibt noch sehr viel zu erreichen.

Was ist denn Ihre größte Herausforderung?

Die Entfaltung des Museums war nach der Wende lange blockiert. Es gab zwar viel Geld, um ostdeutsche außeruniversitäre Forschungseinrichtungen zu fördern, aber beim Museum für Naturkunde als Universitätseinrichtung sind diese Mittel nicht angekommen. So gesehen habe ich schon viel erreicht. Aber als Heilsbringer würde ich mich deshalb nicht bezeichnen.

Da bleiben Sie bescheiden?

Dieses Museum war schon immer exzellent. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind tolle Leute mit einem hohen Anspruch. Das Potenzial ist riesig. Wir – also das Führungsteam, nicht ich allein – haben die Wege dafür geebnet, dass sich das Museum und alle, die hier arbeiten, als Einheit verstehen.

Das war offenbar nicht immer so. „Jeder für sich, keiner für alle“ – das sei der Spirit, den Sie hier vorgefunden hätten, haben Sie einmal gesagt.

Ich glaube, dass sich die Mitarbeiter heute besser fühlen als vor ein paar Jahren. Ich für mich kann nur sagen: Die ersten drei Jahre sind immer ganz hart, wenn man eine neue Stelle antritt, gerade so eine mit so viel Verantwortung. Aber das Haus und die Menschen haben mich in meiner Arbeit beflügelt.

Von Haus aus sind Sie Botaniker. Kommt man bei dem Job überhaupt noch in die Natur?

Wenn ich flapsig wäre, würde ich sagen: Ich gucke mir jeden Tag meine Krawatten an.

Stimmt, Sie tragen ausschließlich Krawatten mit Tier- und Pflanzenmotiven – heute sind es Hummeln auf Purpur. Wie viel Exemplare haben Sie insgesamt?

200 bis 300 werden es schon sein. Ich habe sie nicht gezählt. Meine Lieblingskrawatte heißt „Tanz der Schmetterlinge“.

Ihre Frau Sarah Darwin ist auch Naturwissenschaftlerin – und die Ururenkelin von Charles Darwin. Wo geht es hin, wenn Sie beide mal einen Ausflug machen?

Mein Schwiegervater lebt im Nordosten Englands direkt an einem Naturschutzgebiet. Da haben wir Natur pur. Seit wir in Deutschland sind, haben wir nicht mehr so viel Zeit. Aber wir haben auch schon mal ein langes Wochenende in Thüringen verbracht. Blumen in der Wildnis sind für mich das Größte.

Was genau haben Sie nun mit dem Naturkundemuseum vor?

Das Museum ist ja eine Hybridorganisation: Es betreibt gleichzeitig Spitzenforschung und innovative Wissenschaftskommunikation. Wir haben 120 Wissenschaftler, die exzellente Forschung in Bereichen wie Biodiversität und Evolution machen. Das muss natürlich weitergehen. Das Naturkundemuseum muss fest im deutschen Wissenschaftssystem verankert werden.

Auf der anderen Seite gibt es die Ausstellungen, das breite Publikum. Was sind da Ihre Pläne?

Wir wollen die Kommunikation von Wissenschaftlern und Publikum fördern. Es gibt schon ein sehr erfolgreiches museumspädagogisches Programm für Schulkinder. Es gibt Angebote für Lehrer, die Wissenschaftler können auch in den Unterricht eingeladen werden. Mit Dialogveranstaltungen wollen wir eine Berührung zwischen Wissenschaft, Politik und Bürgern schaffen.

Was heißt das konkret?

Zwei große Veranstaltungen haben wir bereits durchgeführt. Zum Thema Biodiversität hatten wir über 200 Bürger und Wissenschaftler aus aller Welt im Haus. An der Veranstaltung zu Bioökonomie haben 70 Berliner und Brandenburger teilgenommen. Dabei ging es unter anderem um eine bessere Verwertung von Futtermitteln und die Herstellung von Plastik aus Rizinusöl.

Und was ist da die Message?

Es geht darum, unsere hochtechnisierte Gesellschaft nachhaltig und langfristig umzubauen, um den CO2-Ausstoß wegzubekommen. Dazu muss es große Anstrengungen von Wissenschaft, Technik und Gesellschaft geben.

Sie haben auch mal von einem naturkundlichen „Mitmachmuseum“ gesprochen.

Ja, das Ziel haben wir auch. Toll an Berlin ist, wie wissenschaftlich interessiert die Bürger hier sind. In unserer Käfer- und Schmetterlingssammlung forschen schon viele Amateurwissenschaftler mit.

Was haben Sie mit dem ausgestopften Eisbären Knut vor?

Wir sind ein Haus, das die Leute rational, aber auch emotional anspricht. Knut war bundesweit sehr beliebt. Das macht sich unsere Ausstellungskonzeption zunutze. Es geht darum, den materiellen und ideellen, auch emotionalen Wert von Natur aufzuzeigen. Knut gehört nicht nur zu einer vom Aussterben bedrohten Art. Aus ihm sind auch riesige Einnahmen geschöpft worden.

Ein Drittel der Ausstellungsflächen wurde renoviert und neu gestaltet. Was ist jetzt anders?

Das originale Objekt – etwa der große Brachiosaurus – steht im Mittelpunkt. In einem kurzen Text wird der Besucher über die objektiven Fakten informiert. Allein so einen Text zu formulieren ist eine Kunst. Er darf sechs, sieben Zeilen nicht überschreiten und muss allgemein verständlich sein, ohne den wissenschaftlichen Anspruch zu verlieren. Weil nicht unsere Meinung im Mittelpunkt steht, bleibt dem Besucher Raum für eine eigene Interpretation der Welt. Er wird nicht bevormundet. Mit diesem Konzept sind wir in Deutschland mittlerweile führend. Übrigens haben wir riesige Flächen, die wir dem Publikum nach der Sanierung noch öffnen können.

Derzeit hat das Museum 500.000 Besucher pro Jahr. Sind Sie damit zufrieden?

Das ist unheimlich viel. Die Erfahrung besagt, dass die Menschen wenigstens dreimal im Leben ins Naturkundemuseum gehen: einmal als Kinder, einmal als Eltern, einmal als Großeltern. Es kommt nicht darauf an, wie oft sie kommen, sondern was sie in den Köpfen und Herzen aus dem Museum mitnehmen. Ich glaube, dass wir so eine äußerst wichtige Aufgabe für den Wissenschaftsstandort Berlin und Deutschland erfüllen können: das Naturkundemuseum als Ort, dem der Bürger vertraut und in dem Wissenschaft und Gesellschaft verhandeln können. Dafür müssen wir noch deutlich mehr Besucher ins Museum locken.

Warum braucht es solche Orte?

Vieles im Leben hängt von Wissenschaft und Technologie ab. Aber am Ende wird politisch entschieden. In einer Demokratie ist es unabdingbar, dass die Bürger wissenschaftlich und technisch sprechfähig sind. Nur so können sie Einfluss auf die Politik nehmen. Um Wissenschaft und Gesellschaft einigermaßen parallel zu halten, muss das wissenschaftliche Denken der Bürger gefördert werden. Nicht von oben herab mit dem Trichter, sondern durch eine andere Form der Ansprache und des Dialogs. Damit muss experimentiert werden. Dafür sind wir einer der Orte. Es geht nicht an, dass Atomkraftwerke mit Milliarden gebaut werden und es keine gesellschaftliche Akzeptanz für diese Technologien gibt.

Hat Sie ein Schlüsselerlebnis zur Naturkunde gebracht?

Wie viele Naturkundler hatte ich einen Mentor, von dem ich sage: Der hat mich nachhaltig geprägt. Als 14-Jähriger fing ich an, mich mit Pflanzen zu beschäftigen. Es gibt Bestimmungsbücher mit und ohne Bilder. Die ohne Bilder gehen sehr viel weiter, sind aber für Laien schwer zu verstehen. Und dann war da eine Pflanze, die ich nicht rauskriegte. Ein Bekannter meinte, es gebe da einen Experten, den Schullehrer Heinz Lienenbecker, der habe auch einen Lehrauftrag an der Uni Bielefeld. Die Pflanze war eine Distel, etwa einen halben Kopf größer als ich. Ich bin mit dem Fahrrad und der Distel zehn Kilometer zur Uni gefahren. Als ich das Büro dieses Mannes betrat, sagte er „Cardus defloratus“. Nicht „Guten Tag“. Er sagte sofort den lateinischen Namen der Pflanze. Da hab ich gedacht: Das musst du auch mal können. Ich bin dann in den Bielefelder Naturwissenschaftlichen Verein eingetreten.

„Blumen in der Wildnis sind für mich das Größte“

Nach dem Abitur waren Sie zwei Jahre Berufssoldat. Wie ist es denn zu dieser Entgleisung gekommen?

Ich weiß nicht, ob das eine Entgleisung ist. Da müssten wir noch mal drüber reden. (lacht) Das war keine uninteressante Geschichte.

War das ein wichtiges Erlebnis?

Sehr wichtig, ja. Ich war Vertrauensmann. Das war von 1982 bis 1984. Wir waren eine Versuchseinheit der Bundeswehr in Bezug auf die Ausbildung. Ein Jahr lang haben wir jeweils 90- bis 100-Stunden-Wochen geschoben. Das haben nicht alle gut verkraftet. Vertrauensmann zu sein, wenn Spannungen auftreten, war nicht ohne. Da habe ich einiges an Druck gekriegt. Von oben und von unten, was ich als Schüler nicht gewohnt gewesen war. Als ich da rauskam, wusste ich, was ich will. Und seitdem weiß ich auch, wie ich dorthin komme.

Danach haben Sie in Bielefeld Jura und Botanik studiert. Eine ungewöhnliche Mischung.

Bielefeld war eine der ersten Städte, die rot-grün wurden. Mit dem grünen Umweltdezernenten Uwe Lahl kam da eine sehr interessante Mischung rein. Es gab eine sehr aktive Umweltszene. Wir im Naturwissenschaftlichen Verein haben versucht, eher neutral beratend zu arbeiten. Auf der anderen Seite waren die Überzeugungstäter. Natürlich hatten wir auch Überzeugungen, aber wir haben versucht, das anders zu verkaufen. In dieser Zeit habe ich gesehen, dass viele meiner Biologenkommilitonen das Herz auf dem richtigen Fleck hatten – aber ohne das Herrschaftswissen, wie man in Strukturen arbeitet und Sachen umsetzt, bleibt man bei den guten Ideen stecken. Wenn ich nicht nach England gegangen wäre, wäre ich Jurist geworden. Das war eigentlich mein Ziel.

In Cambridge haben Sie dann weiterstudiert.

Ich hatte ein Stipendium. Es gab zwei Bereiche, in denen sich Jura und Biologie überlappen: Umwelt und genetic engineering, also Gentechnik. Das kam ja damals mit den modernen Techniken auf. Man überschätzt sich immer gerne selbst, also dachte ich mir: Gehste mal und lernst Englisch und Genetik. Cambridge war für diesen Bereich die weltweit beste Universität. Ich habe dann richtig Spaß bekommen an Grundlagenforschung. Durch das Elitesystem hat Cambridge ganz wenige Studenten, die supergut ausgebildet werden. Ich wurde sofort in eine funktionierende wissenschaftliche Arbeitsgruppe ohne Hierarchien integriert.

Ihre Promotionsarbeit haben Sie über Farne geschrieben. Wie kam es dazu?

Bevor ich nach England ging, hatte ich in München ein Landschaftsplanungsgutachten für das Alpeninstitut gemacht. Ein Indikator für die Habitate, über die ich gearbeitet habe, waren spezielle Farne. Als ich in Cambridge Genetik studierte, tauchten genau diese Farne wieder auf in Bezug auf sehr interessante evolutionsbiologische Fragen. Das war witzig. Mein Betreuer in Cambridge, John Barrett, war theoretischer Populationsgenetiker. Als ich dem davon erzählte, sagte er: Da musst du mal mit Mary Gibby, meiner Frau, reden, die ist Expertin für Farne am Natural History Museum in London. Und Mary hat mir dann ein Doktorandenstipendium von ihrem Museum besorgt.

Ohne Glück wären Sie demnach nicht dort, wo Sie heute sind?

Ja, aber Mark Twain sagt: The harder I work, the luckier I get.

Aber ist Berlin für Sie eigentlich mehr als nur eine Zwischenstation?

Wohin sollte ich gehen? Es gibt weltweit zehn große Naturkundemuseen, und von einem bin ich der Generaldirektor. Ich werde in meinem Leben gewiss sehr lange arbeiten, das hier ist nicht mein letzter Job. Aber die Jobs, die ich hiernach machen werde, werden andere sein.

Um eine Frage zu Ihrem Styling kommen wir nicht herum. Es sind ja nicht nur die Krawatten, es ist auch der speziell gezwirbelte Schnurrbart. Hat es mit Ihrem Outfit eine tiefere Bewandtnis?

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich Aufmerksamkeit erregen will. (lacht) Das kommt auch aus Bielefeld. Mein Großvater hat zu mir gesagt: Johannes, ich gebe dir ein Ding mit ins Leben. Guck dich um. Guck, was alle anderen machen. Dann machst du das Gegenteil, und du machst es richtig. Das ist gutes protestantisches Denken aus Ostwestfalen.