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Archiv-Artikel

In die Wüste fahren und gut essen

HITZE Fünf Sterne? Ach was! Eine Million Sterne beleuchten das nächtliche Wüstenmahl unseres Nahost-Korrespondenten in der Sahara. Dank raffinierter Kühlkette schmeckt es auch

Gastrotipps für die Wüste

Nicht machen: Zu dieser Jahreszeit, im Sommer, würde kein Mensch mit Verstand auf die Idee kommen in der Wüste zu dinieren. Denn schon im Schatten der Häuserzeilen von Kairo hat es stets um die 40 Grad – und die Abendstunden bringen kaum Erleichterung.

Besser machen: Die Saison für Wüstentouren beginnt Anfang Oktober und ist Ende März abgeschlossen. Denn dann beginnt die Zeit der Sandstürme, und die verträgt sich schlecht mit dem Wüstenbankett.

Wie man’s macht: In die Wüste begibt man sich mindestens mit zwei, am besten mit drei Fahrzeugen und mindestens einem Menschen, der etwas von Motoren versteht. Die Mitreisenden sollten nicht nur in der Suppe rühren, sondern auch mit vereinten Kräften die regelmäßig im Sand feststeckenden Autos wieder freischaufeln können.

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Die Szene kurz vor dem Sonnenuntergang in der Sahara ist stets dieselbe. Die Geländewagen halten am Fuße einer Sanddüne an. Zwischen zwei Fahrzeugen wird ein großer Paravent mit dickem Zeltstoff als Windschutz gespannt. Die mitgebrachten bunten Baumwollteppiche werden auf dem feinen Sand ausgerollt. Und dann geht es ans kulinarische Werk.

Wir sind ein eingespieltes Team. Eine Gruppe von Freunden, mehrere Familien, die – sobald sich ein paar freie Tage bieten – vor dem Krach und dem Chaos des Molochs Kairo in die Stille der westlichen Wüste entfliehen. Jenem Stück landschaftlich teils atemberaubender Sahara, das sich zwischen Niltal und der libyschen Wüste erstreckt.

Die mobile Küche unweit des Lagerfeuers ist bereits aufgebaut: zwei Gaskocher, mit einem Windschutz aus Aluminium versehen. Die Container mit Geschirr, Töpfen, Pfannen, Besteck, Holzbrettern zum Schneiden und die Kühlbox mit den Zutaten stehen bereit, als bereits die Venus als erster Abendstern am Himmel auftaucht. Das ungeschriebene Gesetz unter den Freunden: Dosenfutter ist tabu. In die Wüste zu fahren und gut zu essen, das ist kein Widerspruch.

An diesem Abend bereitet Gasser den Hauptgang. Er arbeitet in Kairo in einer Menschenrechtsorganisation, aber seine Passion ist das Kochen. Sein marokkanischer Wüsteneintopf ist legendär: Fein geschnittene, zarte Kalbfleischstücke, die bereits mehrere Tage mit Limonen und Oliven verbracht haben, die zuvor in Olivenöl und Gewürzen eingelegt wurden. Dazu gibt es eine Gemüsevariation. Alles wird in einem riesigen Topf gegart. Auf dem anderen Gaskocher köchelt der Reis auf kleiner Flamme vor sich hin.

Das Ganze ist noch nicht fertig, da taucht bereits der erste Wüstenfuchs auf und zieht geduldig seine Kreise um die Düne. Er weiß, wenn erst einmal alle Zweibeiner schlafen, schlägt seine große Stunde. Sein ganz persönliches Fest der Essensreste. Manchmal halten es die kleinen Wüstenfüchse mit ihren riesigen Ohren auch nicht mehr aus, kommen schon vorher näher und lassen sich ein paar Leckerbissen zuwerfen. Für den Menschen sind sie harmlos. Anders als die giftigen Sandvipern und Skorpione. Aber hier gilt die goldene Regel: Schlage dein Nachtlager nie dort auf, wo Felsen und Sand zusammenkommen. Und nie in der Nähe irgendeiner Wasserquelle. Sanddünen hingegen sind sicheres Territorium, zu dem sich höchstens Fuchs und Maus verlaufen.

Die eigentliche Kunst, in der Wüste Essen zuzubereiten, liegt nicht im Kochvorgang selbst. Die Herausforderung verbirgt sich in der logistischen Vorbereitung, die Zutaten auch noch nach einer Woche in der Wüste frisch zu halten – in dieser Hitze und ohne Strom. Der Trick ist ein Stufenmodell, das aus mindestens drei Kühlboxen besteht. In einer befindet sich ein Eisblock aus einer der alten Eisfabriken in Kairo. Sie stammen noch aus einer Zeit, als es in Ägypten in vielen Dörfern keinen Strom und nur Holzkühlschränke gab, die mit diesen Eisquadern kühl gehalten wurden. Diese tiefgefrorenen Blocks, die heutzutage wohl auch mit Chemikalien versetzt sind, brauchen anders als die im Heimgefrierfach produzierten oder im Supermarkt gekauften Eisstücke, bis zu zwei Wochen, bis sie schmelzen. In derselben Box befindet sich auch gut verpackt das Fleisch, das vor der Reise mindestens vier Tage im Gefrierfach tiefgefroren wurde. Diese Kühlbox wird nur einmal am Tag geöffnet, nachts, wenn es kühler ist. Das Fleisch für den nächsten Tag wird herausgenommen und ein Stück Eis wird aus dem Block herausgebrochen. Das Ganze kommt in eine zweite Kühlbox, dort befindet sich mit Handtüchern von Feuchtigkeit getrennt das mitgebrachte Gemüse. Auch diese Box wird so selten wie möglich geöffnet. Das Gemüse für diesen Abend wird herausgenommen, das Fleisch wird dort langsam bis zum nächsten Abendessen auftauen.

Ist die erste Box unser Gefrierfach, dient die zweite als unser Kühlschrank. Und dann gibt es noch eine dritte Kühlbox für den Tagesgebrauch, ebenfalls jede Nacht mit einem Eisklotz versorgt. Dort befinden sich vor allem die Getränke. Unser Rekord bei diesem ausgeklügelten System: Noch am zwölften Tag jenseits des Asphalts und der menschlichen Zivilisation konnten wir unser kühles Bier genießen. Doch auch die Auswahl der Zutaten ist entscheidend. Reis, Kartoffeln, Zwiebeln und Knoblauch sind die Freunde der Wüste, sie brauchen gar keine Kühlung. Grüne Bohnen halten sich bei leichter Kühlung sehr lange. Tomaten wiederum sollten in den ersten zwei Tagen verbraucht werden. Suppen lassen sich in Plastikflaschen tiefgefroren leicht transportieren – unser Wüstenklassiker ist ägyptische Linsensuppe für den ersten Gang.

Aprikosen werden zusammen mit Kalbfleisch zu einem kulinarischen Liebesgedicht der Sahara

Eine gewisse Süße verleiht man den Gerichten am besten mit getrockneten Früchten. Klein geschnittene, getrocknete Aprikosen oder Pflaumen werden zusammen mit Rind-, Lamm- oder Kalbfleisch zu einem kulinarischen Liebesgedicht der Sahara, vorzugsweise zu kosten, wenn sich der klare Sternenhimmel über der Sanddüne in seiner vollen Pracht ausgebreitet hat und die Oud, die arabische Laute, erklingt – über einen an das Autoradio angeschlossenen MP3-Player. Das ist dann kein „5-Sterne-Menü“, sondern das „1-Million-Sterne-Dinner“ in der Wüste.

Für solche Momente hat Rafael, der Französischlehrer aus Kairo, sein besonderes Rezept parat. Bananen werden mit Zucker in der Pfanne zunächst karamellisiert und dann mit Cognac flambiert. Wenn die Bananen schließlich bereit sind, drehen wir uns vom inzwischen nur noch glimmenden Lagerfeuer weg und machen die Taschenlampen aus. Rafael holt feierlich das Feuerzeug aus seiner Hosentasche. Und dann kommt dieser traumhafte Moment: Als einziges Licht, so weit das Auge reicht, schießt die blaue, vom Alkohol befeuerte Stichflamme in den Sternenhimmel über der Sahara.

Und kurz, ganz kurz, wie alles schöne Vergängliche, liegt dieser Duft von französischem Cognac in der Luft, bevor er vom leise rauschenden Wüstenwind sanft davongetragen wird.