: Entlassen nach gleichen Regeln
JUSTIZ Mit Fußfesseln will die FDP Häftlinge, die aus der Sicherungsverwahrung freikommen, überwachen. Wann sie entlassen werden, soll der Bundesgerichtshof regeln
■ Wie soll mit mutmaßlich gefährlichen Straftätern umgegangen werden, wenn diese kurzfristig aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden? Darüber will Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kommende Woche mit Landeskollegen beraten. Unter anderem schlägt die Ministerin den Einsatz elektronischer Fußfesseln vor. Das Bundeskabinett hat dem bereits zugestimmt, ein Gesetzentwurf liegt aber noch nicht vor. Unionspolitiker halten das nicht für ausreichend. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann forderte, Gerichte sollten hochgefährliche rückfallgefährdete Schwerverbrecher „zu jeder Zeit“ wegsperren können. (chr)
AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH
Derzeit werden nach Gerichtsbeschlüssen immer wieder mutmaßlich gefährliche Straftäter kurzfristig aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Die Polizei überwacht die Männer, die als gefährlich gelten, teilweise rund um die Uhr. Doch wie auf die Dauer mit ihnen umgegangen werden soll, ist unklar. Darüber will Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kommende Woche mit ihren Kollegen aus den Länder beraten.
Unter anderem schlägt die Ministerin den Einsatz elektronischer Fußfesseln vor. Das Bundeskabinett hat dem bereits zugestimmt, ein Gesetzentwurf liegt noch nicht vor. Unionspolitiker halten das nicht für ausreichend. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) forderte, die Gerichte sollten hochgefährliche, rückfallgefährdete Schwerverbrecher „zu jeder Zeit“ wegsperren können.
Zudem soll der Bundesgerichtshof schnell für eine einheitliche Rechtsprechung zur Sicherungsverwahrung sorgen. Ein entsprechendes Gesetz trat am Freitag dieser Woche in Kraft. Derzeit besteht ein Flickenteppich unterschiedlicher Entscheidungen in den Bundesländern. Konkret geht es um mindestens 70 Straftäter, die hoffen, sofort aus der Sicherungsverwahrung entlassen zu werden. Dabei muss ein Täter im Gefängnis bleiben, nachdem er seine Strafe verbüßt hat, solange er noch als gefährlich gilt. Diese „Haft nach der Haft“ galt früher als Prävention, doch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied im letzten Dezember, dass sie eine zusätzliche Strafe ist. Deshalb gilt hier nun auch das Rückwirkungsverbot für Strafgesetze.
Es greift bei allen, die bereits vor 1998 verurteilt wurden. Denn bis dahin war die Sicherungsverwahrung auf zehn Jahre beschränkt. Erst dann hob der Bundestag die Frist auf und ermöglichte zeitlich unbeschränkte Sicherungsverwahrung. Das galt auch für mindestens 70 verurteilte „Altfälle“, die sich nun auf das EGMR-Urteil berufen.
Über deren Anträge, sofort entlassen zu werden, entschieden die Gerichte bisher aber sehr unterschiedlich. Die Oberlandesgerichte (OLG) in Karlsruhe, Hamm, Frankfurt und Schleswig erklärten das Straßburger Urteil auch in allen Parallelfällen für beachtlich und ordneten an, die Verwahrten freizulassen. Andere OLGs, etwa in Nürnberg, Celle, Stuttgart und Koblenz, lehnten eine Entlassung ab. Die Straßburger Entscheidung gelte erst einmal nur für den konkreten Kläger. Nun wurde Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) aktiv: Der Bundesgerichtshof (BGH) soll als letzte Instanz eingeschaltet werden. Der Bundestag hat den Gesetzentwurf Anfang Juli beschlossen, jetzt tritt er in Kraft.
Sollte ein OLG von einem anderen in Fragen der Sicherungsverwahrung abweichen, muss es den BGH fragen. Der soll endgültig und einheitlich für Deutschland entscheiden. Manches spricht dafür, dass der BGH in vielen Fällen die sofortige Freilassung anordnen wird: Im Mai hat der 4. Strafsenat entsprechend entschieden. Für neue Fälle ist allerdings der 5. BGH-Strafsenat in Leipzig zuständig, der noch nicht mit der Frage zu tun hatte.