: Das Montagsinterview„Ich war immer ein mistiger Vater“
Er nennt sein Leben „eine geile Karriere“, sich selbst einen Sohn des Volkes: auf Gunter Gabriels Hausboot in Hamburg-HarburgAUFSTEHEN ODER LIEGEN BLEIBEN Der Country-Songwriter Gunter Gabriel hat so seine Hochs und Tiefs hinter sich. Ein Gespräch über alte und neue Fehler, gesellschaftliche Konventionen und emotionale Defizite – und darüber, wie es ist, immer wieder weiterzumachen
heißt mit bürgerlichem Namen Günther Caspelherr und ist gebürtiger Westfale. Er hat vier Kinder und wurde ebenso oft geschieden.
■ In den frühen 1970er Jahren schreibt er Schlager, hat aber mit Stücken wie „Hey Boss, ich brauch’ mehr Geld“ auch selbst als Sänger Erfolg. In den 80er Jahren verliert er sein Vermögen wieder.
■ 2009 veröffentlicht er mit Oliver Flesch die Autobiografie „Wer einmal tief im Keller saß. Erinnerungen eines Rebellen“.
■ Auf der Theaterbühne verkörpert Gabriel demnächst seinen Helden, die Country-Ikone Johnny Cash. Foto: dpa
INTERVIEW ANNIKA STENZEL
taz: Herr Gabriel, Sie wohnen nun schon lange auf Ihrem Hausboot. Sind Sie sesshaft geworden?
Gunter Gabriel: Ich finde dies nicht sesshaft, ich bin ja immer auf’m Sprung. Meine letzte Position war auf einem Autoschrotthof in Hildesheim, da hab’ ich die Reste meiner verkorksten Vergangenheit erledigt. Ich hatte plötzlich keine Schulden mehr, und dann ging’s wieder los. Ich wollte wieder ans Licht, wieder ins Theater, ins Kino, mal wieder in Supermarkt, ohne dass ich aufs Geld gucken musste. Jetzt bin ich seit zwölf Jahren hier.
Und warum ein Hausboot?
Ich habe gemerkt, ich komm’ in einer Wohnung nicht mehr klar, so eine Wohnung beängstigt mich. Und im Morgenmantel morgens einkaufen habe ich ein paar Mal probiert, das kam in Hamburg-Pöseldorf nicht mehr so gut an.
Gehen Sie hier in Harburg jetzt wieder mit dem Morgenmantel einkaufen?
Ab und zu. Aber meine Chefin von der Plattenfirma Warner hat gesagt: „Das lässt du schön sein.“
Angst vor Rufschädigung?
Neulich war ein Paparazzo da, der hat mich beim Wäscheaufhängen fotografiert, mit meiner alten Unterhose. Das war nicht so ganz vorteilhaft.
Hängen hier bei Ihnen denn öfter Paparazzi in den Büschen?
Als ich neulich im Krankenhaus war, mir den Arm gebrochen hatte, da war so einer und fotografierte mich mit Plauze und ohne Schlafanzug. Ich besitze so etwas gar nicht. Zwei Stunden nach der Veröffentlichung ruft meine Chefin an und sagt: „Noch einmal so ein Foto und ich zieh den Stecker raus.“ Jetzt hab’ ich zwei neue Schlafanzüge und einen Bademantel, aus Seide.
Sie selbst stört das gar nicht?
Ich finde solche Aufnahmen immer wieder ganz witzig. Das ist mein Naturell, immer so ein bisschen chaotisch. Ich kann mich schlecht in einen Anzug zwängen.
Ist das Rebellion?
Nein, die Gesellschaft ist doch so bekloppt, dass sie meint, die Verpackung muss immer stimmen. Wir leben in einem freien Staat, ich muss doch nicht immer so angeglichen sein. Gut, wenn ich einem Mädchen einen Kuss gebe, dann putz ich mir vorher die Zähne. Aber sonst, finde ich, sollten wir viel freier sein in solchen Dingen.
Ihre letzte CD trägt den Titel „Ein Sohn aus dem Volk“ – meinen Sie damit sich selbst?
Ja, auch. Ich habe mich immer als Sohn des Volkes gefühlt.
Was bedeutet das?
Unter allen zu sein. Nicht separat. Ich lebe zwar ein bisschen separat hier auf meinem Hausboot, ich fühl mich aber allen verbunden. Ob das in Bayern ist, am Starnberger See, egal, auch an der Tankstelle oder so. Ich bin ein Junge aus dem Volk, durch meinen Job als Schlosser und so.
Sie sind ja eigentlich ein Arbeiter.
Ich bin ein Arbeiterkind. Man kann ja wirklich sagen: vom Sohn des Schrankenwärters zum Songwriter. Das ist doch schon mal eine geile Karriere.
Eine Karriere, die aber auch mal ins Straucheln kam.
Als ich pleite war?
Ja.
Auch das war für mich im Grunde keine schwere Zeit. Es war etwas komplizierter, weil kein Geld mehr da war. Da konnte ich nicht mehr so leichtsinnig im Karstadt zu meiner Tochter sagen: „Ich setze mich so lange in die Cafeteria, kauf was du willst.“
War das schlimm für Ihre Kinder?
Die haben das nicht so richtig mitbekommen. Meine älteste Tochter hat das gar nicht geglaubt. Und dann hat sie sich nicht weiter drum gekümmert, weil man ja dann ein Aussätziger ist.
Waren Sie ein guter Vater?
Ich war immer ein mistiger Vater, weil ich ewig unterwegs war. Ich war nie für die Kinder richtig da und ich habe ständig meine Ehefrauen betrogen. Aber je älter ich werde, je besser wird mein Kontakt.
Wollen Sie als Vater etwas besser machen, als Ihr eigener Vater es gemacht hat?
Ja, schon. Mein Vater hat mich so schlecht behandelt, dass ich ihn auf einer Party kaputt geschlagen habe.
Was ist da vorgefallen?
Als ich 17 war, komme ich zu einer Party, da liest er der Partygesellschaft aus meinem Tagebuch vor. Da hatte ich pubertäre Geschichten aufgeschrieben, so mit Liebeskummer, was man schreibt als 17-Jähriger. Und da macht der sich lustig über das, was mir wichtig war. Da bin ich ausgerastet. Mein Vater war immer ein Grobian, ein Mensch, der nicht lieben konnte, und das, das war für mich ein Schock, und da haben wir uns geschlagen. Seitdem haben wir uns nie wieder gesehen.
Hätten Sie ihn gern nochmal getroffen?
Selbstverständlich, weil ich heute viel mehr begreife, dass er ein liebloses Leben geführt hat. Was ihm da verloren gegangen ist, dass er nicht in der Lage war zu sagen: „Ich liebe dich, mein Sohn.“ Für mich war die Rettung meine Gitarre. Mein Vater war ein liebloser Mensch, meine Mutter ist sehr früh gestorben, darunter hab ich mein Leben lang immer hintergründig gelitten. Aber ich hab mich damit auseinandergesetzt, weil ich ähnlich ausartete wie mein Vater, weil ich gewalttätig wurde, so wie er. So wollte ich nicht sein.
Haben Sie ihm je verziehen?
Ja, aber er lebt ja nicht mehr. Ich gäbe was drum, wenn er noch leben würde, ich gäbe auch was drum, wenn meine Mutter noch leben würde. Ich hab immer diese Defizite gehabt, bis heute.
Wie gehen Sie um mit diesen Defiziten?
Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich Emotionen ein bisschen besser kontrollieren kann. Gewalttätigkeit ist bei mir tabu, schon jahrelang, zehn Jahre bestimmt. Ich hab mich in dieser Richtung unter Kontrolle. Ich raste heute nicht mehr mit Fäusten aus, früher ja, und was das Emotionale angeht, da bin ich immer noch auf dem Posten, immer noch auf der großen Suche nach der großen allumfassenden Liebe.
In Ihrer Biografie steht, Sie hätten eine Bindungsstörung. Was hilft es dann, wenn Sie die große Liebe finden?
Am Anfang hilft es immer. Ich hab leider nie das Glück gehabt, dass ich eine richtige Parallelfigur zu mir gefunden habe. Ich hab ja auch immer noch Liebschaften, auch im hohen Alter. Viele Mädchen fühlen sich zu mir hingezogen, was ich ja sehr schön finde, aber die sehen in mir den Baum, die Ruhe, die Ausgeglichenheit, was ich nicht immer erfüllen kann. Ich bin unruhig, rastlos, ich bin untreu. In einer Beziehung ist aber wichtig, dass man sich – in Anführungsstrichen –„befruchtet“.
Das scheint ja nicht so gut geklappt zu haben: Sie sind vier Mal geschieden.
Das liegt daran, dass ich nicht treu sein kann, im bürgerlichen Sinne. Aber ich bin ja auch vielen Frauen, mit denen ich früher zusammen war, noch verbunden. Ich rufe da an, ich pflege den Kontakt. Ich bin aber heute auch kein Wilder mehr, der jedem Rock hinterherrennt. Das ist vorbei. Ich kann jetzt nicht mehr in einer Nacht vier bis fünf Mädchen begatten, ist doch lächerlich, darüber bin ich hinaus.
Schreiben Sie eigentlich immer noch Tagebuch?
Ja, hier in mein Tagebuch habe ich zum Beispiel den Brief eingeklebt, wegen dem ich heute mit meiner Freundin zusammen bin. Die hat geschrieben blablabla, ich würde mich freuen, wenn wir uns mal sehen könnten, du verrückter Sack. Verrückter Sack, habe ich gedacht, das ist ja interessant. Und dann hab ich sofort geantwortet. Was bist du denn für eine Geile, nennst mich verrückter Sack? Das war vor zwei Jahren.
Was passiert, mit den Tagebüchern, wenn sie mal sterben?
Ich habe gehört, dass Martin Walser seine Tagebücher veröffentlicht hat. Vielleicht sollte ich auch? Nein, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Eigentlich ist mir das egal.
Aber über den Tod haben sie schon nachgedacht.
Meinen Sarg hab ich gekauft, da war ich 65, da kannte ich den Besitzer von dem Sarggeschäft und da hab ich gesagt: Komm’, ich kauf den.
Und wo ist der jetzt?
Den hab ich wieder zurückgegeben, der brauchte so viel Platz und ich bisschen zu kurz war er auch. Ich denke aber trotzdem jeden Tag über den Tod nach, aber wohlwollend.
Wohlwollend?
Im Sinne von: Fülle deine Tage aus mit sinnvollen Dingen und verplempere nicht deine Zeit. Sitz’ nicht auf dem Sofa rum. Ich erfülle ja auch meine Aufgaben, als Songschreiber hab ich auch immer noch die Vorstellung, dass man den Leuten etwas geben kann. Das merke ich besonders durch die neue Platte. Da gibt’s Leute, die sagen: „Das ist gut“, auch junge. Da merkt man plötzlich, man hat eine Aufgabe: nicht nur den Song zu schreiben, sondern was sage ich mit den Songs. Ich bin jetzt wieder im Geschäft, weil die Songs eine Aussage haben.
Gibt’s denn neue Songs?
Ich hab ein paar neue gute Songs in der Schublade. Das ist ja auch das Großartige. Erstmal hab ich einen Vertrag, und auf der neuen Platte sind die Songs vorwiegend von anderen Leuten. Ich habe aber noch Songs in der Schublade. Und mit einmal werde ich die wieder los. So kann es weitergehen.
Haben Sie je Angst, dass es nicht so weitergehen könnte?
Nein.
Wovor haben sie Angst?
Ich habe Angst, dass ich an der Gehhilfe ende. Als ich im Januar auf die Fresse flog und den Arm gebrochen hab’, da hab’ ich gedacht: Wenn mich jetzt hier keiner findet, dann sterbe ich. Der Schmerz war dermaßen groß, dass ich dachte: Wenn das der Tod sein soll, dann will ich, dass er schnell kommt. Und davor hab ich natürlich Angst: dass man dann so dahinsiecht.
Wie stellen Sie sich Ihren Tod vor?
Am liebsten würde ich so wie der alte Kelly von der Kelly Family sterben. Ein schönes weiß bezogenes Bett, alle drum herum mit Kerzen und Gitarren, dann ist er eingeschlafen. So stell’ ich mir den Tod vor. Wie so ein Elefant, der auf einen Hügel klettert und sagt: So, meine letzte Stunde ist gekommen. Vielleicht kann man das ja beeinflussen.