: Wo ist das Deutsche in der Türkei?
REISE Zum ersten Mal ist der Bus des Westdeutschen Rundfunks ausserhalb Europas unterwegs (18.50 Uhr)
Wie immer, wenn Sommer ist, schickt die Aktuelle Stunde des WDR-Fernsehens ihren alten VW-Bus los. Mit Kamerateam und mobilem Schnittplatz ausgerüstet, fährt er in diesem Jahr durch die Türkei, auf der Suche nach den Geschichten „zwischen Urlaub und Alltag, zwischen Heimat und Fremde“. Fünfzehn Beiträge sind auf dieser Reise entstanden, sie werden von heute an bis zum 22. August werktäglich in der Aktuellen Stunde ausgestrahlt.
Es ist die erste Bustour, die über den europäischen Kontinent hinausgeht, und WDR-Autor Christian Dassel ist ganz euphorisch: „Wir haben noch nie was Besseres erlebt“, sagt er nach einem langen Drehtag. Schon im Vorfeld, als die Aktuelle Stunde per Aufruf nach Menschen in der Türkei suchte, die eine Geschichte mit nordrhein-westfälisch-türkischer Verbindung erzählen können, war die Resonanz gewaltig – was Stefan Brandenburg, Redakteur der Aktuellen Stunde, auf den großen Anteil türkischstämmiger Zuschauer seiner Sendung zurückführt. Und auf die deutsch-türkische Medienkooperation: Zwei Mitarbeiter der Sendung „Köln Radyosu“ von Funkhaus Europa sind im Bus dabei, die deutsche Ausgabe der türkischsprachigen Tageszeitung Hürriyet berichtet im großen Stil, inklusive Titelstory.
Die Menschen, denen die Journalisten auf der Reise begegnen, haben alle eine Verbindung zu Deutschland. Der Musikwissenschaftler Martin Greve ist ausgestiegen, vor zwei Jahren zog er in die 15-Millionen-Metropole Istanbul. „Man kann hier leben wie in Teheran, man kann aber auch leben wie in New York“, erklärt er, und führt den bisher komplett Türkei-unerfahrenen WDR-Autor einmal über den Bosporus in den asiatischen Teil der Stadt, zum Instrumentenbauer.
Oder Kemal Sahin, macht in Textilien, tausende Angestellte, wohnhaft im schicken Villenviertel am Rande Istanbuls. Deutsche Tugenden, verknüpft mit türkischer Herzlichkeit, haben ihn so weit gebracht, sagt er, doch auch die deutsche Bürokratie ist schuld: Weil er in Deutschland keine Arbeitsgenehmigung erhielt, ging er zurück und machte seinen eigenen Laden auf – heute hat er auch viele in Deutschland.
Es sind zum großen Teil leichte, erheiternde Geschichten, die auch ein gewisses Urlaubsflair vermitteln sollen – es ist schließlich Sommer und die Aktuelle Stunde nun mal eine Massensendung, sagt der Redakteur Brandenburg. Doch das VW-Bus-Team in der Türkei dreht nicht ausschließlich eitel Sonnenschein. Der Beitrag über die drei Brüder Ali, Günay und Gürkhan Günes, die 30 Jahre in Dortmund lebten, spielt auf einem Friedhof in ihrem Heimatdorf Balballi. Dort sind ihre Eltern begraben, die zeit ihres Lebens in Deutschland davon träumten, nach Sakarya aufs Land zurückzukehren. Sie starben, bevor es so weit war.
Dass WDR-Autor Christian Dassel von der türkischen Gastfreundschaft so begeistert ist, hängt auch mit dem alten VW-Bus zusammen, sagt er. Der Bus ist Baujahr 72, es brummt der fünfte Motor, aber abgesehen von einem kleinen Auffahrunfall in Istanbul läuft alles einwandfrei.
Die politische Dimension des Spannungsfeldes der deutsch-türkischen Beziehungen ist ein Thema der Beiträge, subtil aber sehr wohl allgegenwärtig. „Verständnis für das Zusammenleben schaffen“, das ist sowohl für Redakteur Brandenburg als auch für den Autor vor Ort das große Ziel. „Wenn wir eine Wirkung erzielen wollen, dann diese“, sagt Dassel. „Und wir möchten ein Bild vermitteln, das die türkische Bevölkerung beschreibt, wie sie ist: sehr sympathisch.“
BENJAMIN WEBER