: Mit Feuereifer
FESTSAAL KREUZBERG Die Betreiber des abgebrannten Clubs arbeiten hart für einen Neustart 2015
VON JENS UTHOFF
Die Discokugel, die an der Außenwand herunterbaumelt, erinnert an bessere Zeiten. Sie lässt einen an diesem bitterkalten Januartag an die wesentlich heißeren Nächte denken, die man in diesem Gebäude verbracht hat: Sie lässt einen an Schweiß, an Rock’n’Roll, an Soul denken.
Schreitet man nun durch das feierlich anmutende Eingangstor, über dem auf einem geschwungenen Bogen „Festsaal Kreuzberg“ steht, glaubt man, auf einer Schutthalde gelandet zu sein. Unter dem Schnee lugen hervor: ein auseinandergebrochener Kühlschrank, ein paar Stühle, Bauteile.
Im kalten Saal dann sieht man zwar noch hier und da Ruß. Brandgeruch aber nimmt man immerhin nicht mehr wahr. Dort, wo früher das Mischpult seinen Platz hatte, steht jetzt ein großes Stahlgerüst: Es stützt die Dachkonstruktion. Das Haus ist entkernt, nur einige durchgeschmorte Kabel hängen von der Decke hinab. Wo einst die Balustrade, das schicke Holzgeländer war, bilden schlichte Spanholzplatten die Brüstung.
Es ist ein gutes halbes Jahr her, dass der Festsaal Kreuzberg komplett ausbrannte. Ein technischer Defekt war schuld. Das war’s dann, dachte man: Dieser wunderbare Indie-Club, dieser erstklassige Rockschuppen, diese geniale Tanzkaschemme schien Geschichte zu sein. Inzwischen ist klar, dass das Haus weiter genutzt werden kann – wenn es denn saniert wird. Nötig dafür sind: viel Geld – insgesamt etwa eine halbe Million Euro – und ein Bauantrag, der genehmigt wird.
Björn von Swieykowski ist einer der vier Betreiber des Festsaals. Er schreitet durch die kalte Halle und erinnert sich, wie er hier selbst mal seinen großen Auftritt hatte. Als er in den Ring stieg. Bei einer der Kreuzberger Kiezboxgalas war das, die seit 2010 stattfanden. Er verlor. „Das war schon ein einschneidendes Erlebnis, im eigenen Club zu boxen. Und immerhin war es der deutsche Hochschulmeister, gegen den ich verloren habe.“
Ort für das andere Leben
Der Festsaal war nicht einfach nur ein Musikclub, nicht nur ein Ort für Punk- oder Indiekonzerte, für Elektro- oder HipHop-Partys. Es gab hier auch Politveranstaltungen von NGOs und der Antifa, Lesungen und Festivals – oder eben Wrestling- und Boxabende. Der Festsaal war ein Laboratorium der Alternativkultur, ein Ort für das andere Leben. Ein kleines Abbild Kreuzbergs. Er war weit über Berlin hinaus für sein Programm bekannt. „Irgendwas müssen wir wohl richtig gemacht haben“, sagt von Swieykowski, und man nimmt ihm diese Nonchalance ab. „Vielleicht ist es aber auch die Entstehungsgeschichte, die diesen Ort ein bisschen besonders erscheinen lässt.“
Der spätere Festsaal war lange nur ein schlichtes Nachkriegsgebäude, das als Lager, etwa für Holz, genutzt wurde. Später wurde daraus eine kleine Markthalle. 1999 hielten türkische Hochzeitsgesellschaften Einzug. Von da an war es ein Festsaal.
Es sollte noch bis 2004 dauern, ehe von Swieykowski und seine Mitstreiter Christoph Nahme und Christopher Schaper (später kam noch Ingo Ohm dazu) das Gebäude entdeckten und mieteten: „Wir waren so Punktypen und wollten Konzerte veranstalten.“ Es konnte also vorkommen, dass an einem Abend eine türkische Hochzeitsparty stieg und am nächsten Abend Grindcore zu hören war.
Erst langsam wurde aus dem Hochzeitssaal komplett ein Club. Mit der Zeit veranstalteten von Swieykowski + Co. mehr und mehr Konzerte und Lesungen. Die türkische Community fragte immer seltener an. Inzwischen hatten die Konzertveranstalter auch viele Termine monatelang im Voraus blockiert. Ab 2007 dann war der Festsaal ein reiner Indie-Club. Jährlich fanden hier etwa 200 Veranstaltungen statt. Bis zum 21. Juli 2013.
Crowdfounding hilft
Doch trotz des Brandes ist das Gemäuer zum Glück intakt geblieben, fast alle Stahlträger auch. Die Betreiber initiierten eine Crowdfunding-Aktion, die den Wiederaufbau einleiten sollte. Bis Ende November kamen 32.219 Euro zusammen. „Die sind dafür, dass unsere Architekten kalkulieren und einen Bauantrag stellen können“, erklärt der 40-jährige Betreiber. Nicht nur über das Netz kam Geld zusammen: Eine Soli-Party im Postbahnhof glich die Rückstände der Betreiber aus, und als man einen Klingelbeutel bei einem Konzert herumreichte, kamen mal eben 900 Euro zusammen. Mit der legendären Hamburger Punkband Oma Hans reformierte sich eigens eine Band, um Geld einzuspielen. Zwei Konzerte finden Mitte Februar im SO 36 statt.
Eine halbe Million Euro bräuchte man für die Sanierung des Innenraums. Denn der Eigentümer hatte das Gebäude nur als Lager versichert – als solches würde es (von der Versicherung gedeckt) wieder hergerichtet. Es gibt aber neben dem Eigentümer noch zwei weitere beteiligte Parteien: einen Hauptmieter und die Festsaal-Betreiber als Untermieter. Sie hatten nur ihr Equipment versichert. Der Hauptmieter war gar nicht versichert – und somit auch nicht die Inneneinrichtung. Die soll nun mit Fördergeldern, weiterem Crowdfunding, Soli-Konzerten und Brauerei-Deals finanziert werden.
Sondergenehmigung nötig
Selbst noch so viel gesammeltes Geld würde aber nichts bringen, wenn das derzeit größte Problem nicht gelöst wird: ein Galvanikbetrieb, in dessen 100-Meter-Radius sich der Festsaal befindet. Galvanikbetriebe zur Metallbeschichtung sorgen nicht zum ersten Mal für Ärger bei Bauvorhaben in Kreuzberg. Sie arbeiten mit gefährlichen Chemikalien und fallen unter die EU-weit geltende sogenannte Seveso-II-Richtlinie. Demnach dürfen keine Bauanträge für hinzukommende Institutionen im näheren Umkreis genehmigt werden. Schon vorhandene Institutionen haben Bestandschutz. Die Festsaal-Betreiber müssen auf ein Sondergutachten hoffen. Immerhin finden ihre Veranstaltungen meist abends statt, während die potenziellen Unfallverursacher eher tagsüber arbeiten.
Wäre angesichts solcher Mühen nicht auch ein Alternativstandort denkbar? Sicher, ausschließen könne man nichts, sagt von Swieykowski. Aber erst mal kämpfe man für den alten Festsaal, mit seiner guten Lage am Kotti. Er bleibt vorsichtig optimistisch. Vielleicht werde in einem Jahr schon wieder gefeiert hier. Der 8. Januar 2015 wäre ein schönes Datum, sagt er. Elvis würde dann 80 Jahre alt. Es gab im Festsaal eine Elvis-Sause zu dessen Siebzigstem, mit Coverbands und allerlei Rock-’n’-Roll-Kultur. „Vielleicht ist die Sanierung des Saals dann so weit, dass man den Raum wieder nutzen kann.“ Es wäre sicher noch eine Baustellenparty. Aber eine Discokugel sollte dann wieder über der Tanzfläche baumeln.