: Vom Erstaunlichen der Schabe
Die Lübecker Ausstellung „Heimliche Untermieter“ soll die als Schädlinge verschrieenen Milben, Asseln und Schaben in neuem Licht zeigen: als staunenswerte Lebewesen, mit denen es einen Kompromiss zu finden gilt
Es ist unwahrscheinlich, dass die Besucher nach Hause gehen und nie wieder den Begriff „Schädling“ in den Mund nehmen werden. So didaktisch kommt die Ausstellung „Heimliche Untermieter“ in Lübeck auch gar nicht daher. Aber es mag sein, dass sie begreifen, warum Biologen diesen Begriff gar nicht benutzen. Sondern all jene, die vor allem den wirtschaftlichen Schaden im Blick haben, den Schaben, Asseln & Co. verursachen.
Es ist das Verdienst der vom Naturmuseum Luzern konzipierten Ausstellung, eines gleich zu Beginn klar zu stellen: Der Mensch wird immer mit seinen, nun, Schädlingen leben müssen.Trotz einer immer ausgefeilteren Schädlingsbekämpfung: Bereits die Ägypter stellten mit dem Verbrennen von Harzen und Myrrhe ein hochwirksames Insektizid her, die Chinesen versuchten es mit Arsen, die Römer mit dem Versprühen ölartiger Stoffe, die die Haut der Insekten verklebten – und dazu kamen noch unzählige magische Bekämpfungsrituale. Es ist kein Zufall, das die von Carl Linné benannte „Deutsche Schabe“ im 19. Jahrhundert auch wahlweise als Preuße, Schwabe, Franzose oder Russe bekannt ist – je nachdem, wo man sich gerade aufhält. Eine Zuschreibung mit einem traurigen Höhepunkt, als das NS-System Menschen, die sich seinem Terror nicht unterwerfen, zu „Volksschädlingen“ erklärt.
Mit einem Bett, auf dem zwei riesige Gipsmilben sitzen, flankiert von Kafkas „Verwandlung“ auf dem Nachtisch, macht die Ausstellung einen kurzen literaturgeschichtlichen Schlenker. Doch das eigentliche Interesse liegt, neben der historischen Einleitung, in der praktischen Anschauung: In Küchenbuffets, auf Esstischen oder in Spülschränke sind Glaskästen eingebaut, in denen sich Zitterspinnnen, Kellerasseln, deutsche, orientalische und amerikanische Schaben, Silberfischchen, Kartoffelkellerlaus und Fransenflügler neben diversen anderen Arten tummeln. Deren Betrachtung, so erhoffen sich die Verantwortlichen in Lübeck, soll aufmerksam machen auf das „erstaunliche Leben“. Und damit Interesse daran wecken, wie sich die Konkurrenz zwischen Mensch und Schädling anders als durch Gift lösen ließe. Es bleibt als einziger Einwand gegen diese verdienstvolle Ausstellung, dass sie eben jenes Erstaunliche noch plastischer hätte machen können. Dass etwa die deutsche Schabe 29 cm in der Sekunde laufen kann, hätte ihr nicht jeder zugetraut und dass das Silberfischchen sich vermehrt, indem das Weibchen per Tanz dazu verlockt wird, unter einem Fadennetz durchzuschlüpfen, hinter dem sich ein Samenpaket verbirgt, hatte man so auch nicht erwartet. grä
„Heimliche Untermieter“ im Museum für Natur und Umwelt, Lübeck, bis zum 28. 2. 2007. Mit Begleitprogramm für Kinder