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Archiv-Artikel

Mit der Wärme kommen die Mücken

TAZ-SERIE Das Klima wandelt Deutschland: Infektionsepidemologe Klaus Stark rechnet mit Erregern, „die bisher auf tropische und subtropische Gebiete beschränkt sind“, und fordert mehr Weiterbildung für Ärzte

Klaus Stark

■ 52, ist Professor für Infektionsepidemiologie am Robert-Koch-Institut in Berlin. Sein Forschungsinteresse gilt besonders der Übertragung von Krankheitserregern von Tieren auf Menschen.

taz: Herr Stark, welche Krankheiten wird der Klimawandel nach Mitteleuropa bringen?

Klaus Stark: Dies hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wenn die Temperaturen in Deutschland in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ansteigen wie von Klimaforschern prognostiziert, kann damit gerechnet werden, dass Virusinfektionen auftreten, die durch bestimmte Mückenarten übertragen werden. Hierbei ist an Erreger zu denken, die bisher auf tropische und subtropische Gebiete beschränkt sind, wie zum Beispiel Chikungunya-Virus, das hohes Fieber und Gelenkbeschwerden verursacht, oder auch der Dengue-Virus. Aber auch in Deutschland bereits vorkommende Erreger könnten sich bei wärmerem Klima stärker ausbreiten, etwa die von Zecken übertragenen Borreliose-Erreger oder auch die von Nagetieren übertragenen Hanta-Viren. Neben klimatischen und anderen ökologischen Faktoren spielen bei der Verbreitung aber eine Reihe von anderen Einflussgrößen eine Rolle.

Welche sind das?

Die Häufigkeit und Verbreitung von Infektionskrankheiten ist ja nicht nur von Klimafaktoren abhängig. Eine wichtige Rolle spielen bei vielen Erregern die allgemeinen Lebensbedingungen der Menschen inklusive der hygienischen und sozioökonomischen Verhältnisse. Oder etwa auch die Brutbedingungen für Moskitos und der Standard der medizinischen Versorgung und Prävention. In Deutschland könnten sich zwar bei fortschreitender Erwärmung verstärkt Moskitoarten ansiedeln. Solange unsere hygienischen und medizinischen Standards mit den Möglichkeiten der Krankheitsbekämpfung so hoch bleiben wie bisher, wird sich zum Beispiel die Malaria nicht festsetzen.

Reden wir über künftige Szenarien – oder spüren wir die Folgen heißerer Sommer und milderer Winter schon?

Es ist schwierig, bestimmte Phänomene ursächlich auf den Klimawandel zu beziehen. Einzelne, bislang auf wärmere Klimazonen beschränkte Krankheiten sind in Europa in den letzten Jahren aufgeflackert. Etablieren konnten sie sich aber noch nicht.

Reagiert das Gesundheitssystem ausreichend?

In der Medizinerausbildung könnte noch mehr getan werden. Hier wird die Tropenmedizin an manchen Fakultäten stiefmütterlich behandelt. Es gibt nur wenige Universitäten, die überhaupt eine tropenmedizinische Abteilung haben, die für diese speziellen Infektionskrankheiten zuständig ist. Auch in der Weiterbildung der Hausärzte und Klinikärzte könnte auf diese Aspekte stärker eingegangen werden. Außerdem fehlt uns eine systematische Erfassung der Verbreitung von Mücken oder Zecken. Welche Art hat sich wo festgesetzt, welche Viren können sie übertragen? Hierzu haben wir bisher nur ein sehr unvollständiges Bild.

Wie bereitet sich das Robert-Koch-Institut auf die neue Lage vor?

Wir beschäftigen uns verstärkt mit der Frage, welchen Einfluss klimatische Faktoren wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf die Verbreitung bestimmter Erreger in Deutschland haben. Beispielsweise wird untersucht, welche klimatischen Bedingungen etwa zur Ausbreitung des Hanta-Virus führen, das durch Mäuse vor allem in Baden-Württemberg und Bayern übertragen wird. Auch mit der Analyse und Bewertung von importierten Krankheiten befassen wir uns schon seit langem, wissen also sehr viel darüber, wie viele Menschen Malaria oder Dengue-Fieber nach Deutschland einschleppen und aus welchen Ländern und woher sie die Viren haben. Auch eine Vielzahl anderer klimasensitiver Krankheiten erfassen wir systematisch, zum Beispiel solche, die über Lebensmittel oder bestimmte Tiere übertragen werden.

Was haben die mit dem Klimawandel zu tun?

Wenn es wärmer ist, treten häufiger Salmonellen oder Campylobacter-Bakterien auf, beide können zu schweren Durchfallerkrankungen führen. Es geht ja nicht immer nur um exotische Infektionskrankheiten. Wir müssen uns auch dagegen wappnen, dass mehr Menschen an Hautkrebs erkranken, wenn die Sonneneinstrahlung länger und intensiver wird. Die längeren Vegetationsperioden sind für Allergiker problematisch, sie leiden länger am Pollenflug von Birke oder Haselnuss.

INTERVIEW: HEIKE HOLDINGHAUSEN