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Archiv-Artikel

Das Überleben hängt vom Wohnort ab

STUDIE In den ärmsten Regionen Deutschlands ist die Wahrscheinlichkeit, früh nach einer Krebsdiagnose zu sterben, am höchsten, finden Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg heraus. Über die Ursachen rätseln die Forscher

Die Überlebensdauer ist im ärmsten Fünftel der Regionen am kürzesten

BERLIN taz | Wie lange Patienten nach einer Krebsdiagnose noch leben, hängt in Deutschland auch davon ab, wo die Patienten wohnen: In den wirtschaftlich ärmsten Regionen sterben Krebskranke früher als in allen anderen Teilen der Republik – und zwar unabhängig von der Krebsart.

Besonders hoch ist das Sterberisiko für Menschen aus armen Landkreisen innerhalb der ersten drei Monate nach der Diagnose: Im ärmsten Fünftel der bundesdeutschen Landkreise war es in dieser Zeitspanne um 33 Prozent höher als in den anderen Regionen. Neun Monate nach der Diagnose lag der Unterschied immer noch bei 20 Prozent, in den darauf folgenden vier Jahren blieb er stabil bei 16 Prozent. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg (DKFZ), die am Montag anlässlich des Weltkrebstags veröffentlicht wurde.

Die Forscher werteten die Daten von einer Million Krebspatienten aus, die zwischen 1997 und 2006 an einer der 25 häufigsten Krebsarten erkrankt waren. Diese Daten stammten aus 10 der insgesamt 16 deutschen Landeskrebsregister und deckten 40 Prozent der gesamten deutschen Bevölkerung ab, sagte Lina Jansen, die Erstautorin der Studie, der taz. Eine Kompletterhebung war deshalb nicht möglich, weil einige Krebsregister, etwa in Baden-Württemberg oder Hessen, erst im Aufbau sind.

Um die Anonymität der Patienten zu wahren, so Jansen, erfolgten die Analysen nicht auf Basis der Wohnorte, sondern der Landkreise. Die Forscher teilten die Kreise anhand eines Schlüssels von Parametern (Deprivationsindex) – etwa Pro-Kopf-Einkommen, Arbeitslosenquote oder kommunale Ein- und Ausgaben – nach ihrer sozioökonomischen Situation in insgesamt fünf Einheiten ein. „Unser Ergebnis, dass das Überleben in dem ärmsten Fünftel der Regionen am kürzesten ist, deckt sich mit Forschungsergebnissen aus anderen Ländern wie den USA, Kanada oder Skandinavien“, sagte Jansen.

Über die Ursachen können die Wissenschaftler nur spekulieren: „Wir hatten zunächst vermutet, dass Menschen in den schwächeren Regionen vielleicht weniger häufig zur Vorsorge gehen oder erst später einen Arzt aufsuchen und dass die Krankheit deswegen erst in einem späteren Stadium diagnostiziert wird, was schlechtere Heilungschancen erklären würde“, sagte Jansen. „Das aber war nicht der Fall.“ Die Unterschiede blieben auch dann bestehen, als die Wissenschaftler bei ihrer Auswertung die Stadienverteilung berücksichtigten. Auch etwaige Ost-West-Differenzen konnten die Forscher nicht feststellen.

Für die Untersuchung anderer möglicher Faktoren fehlten den Wissenschaftlern schlicht die Daten. „Wir wissen nicht, ob und welche Unterschiede es bei der Versorgung gab, welche Therapie der Patient bekommen hat, welche Behandlung ihm überhaupt angeboten wurde und welche er dann möglicherweise abgelehnt hat“, bedauerte Jansen. Auch über Begleiterkrankungen der Patienten oder etwaige Komplikationen während der Therapie lägen keine Daten vor und zur Behandlungsqualität einzelner Kliniken schon gar nicht. „Wir brauchen diese Daten aber dringend, um die Ursachen herauszufinden, sonst können wir die Situation der Patienten nicht verbessern“, mahnte Jansen. In einem reichen Land wie Deutschland mit einer der höchsten Krankenversicherungsraten weltweit sei die Chancenungleichheit von Krebspatienten nicht hinnehmbar.

Das Gesetz zur Einrichtung flächendeckender klinischer Krebsregister ist in Deutschland erst im vergangenen Jahr in Kraft getreten. Die Kosten für den Aufbau der Register von etwa acht Millionen Euro übernimmt zu 90 Prozent die Deutsche Krebshilfe. Den Rest tragen die Länder. Jährlich erkranken in Deutschland etwa 400.000 bis 500.000 Menschen neu an Krebs.

HEIKE HAARHOFF