Das schwere Kreuz des toten Diktators

In Spanien lebt Francisco Franco in Straßen- und Gebäudenamen weiter. Bei Madrid ehrt eine 260 Meter lange Kathedrale sein Andenken. Angehörige seiner Opfer wollen das „Valle de los Caídos“ in ein Denkmal für die Gräuel der Diktatur verwandeln

AUS MADRID REINER WANDLER

Spaniens Diktator Francisco Franco überragt alles. Wer die Autobahn von Madrid in Richtung Nordwesten nimmt, wird von einem riesigen steinernen Kreuz auf einem Felsen an den „Caudillo“ erinnert – an den Führer, der fast 40 Jahre das Land mit eiserner Faust regierte. In den 40er- und 50er-Jahren ließ der Generalísimo eine 260 Meter lange Kathedrale in den Bergen der Sierra de Guadarrama bauen. Neben dem Gründer der faschistischen Falange, José Antonio Primo de Rivera, und 40.000 Opfern des spanischen Bürgerkrieges wurde dort auch Diktator Franco nach seinem Tod am 20. November 1975 beerdigt. Das „Valle de los Caídos“ – Tal der Gefallenen – ist heute den einen ein Stachel im Fleisch der Demokratie, den anderen ein Denkmal, das an bessere Zeiten erinnert. Wieder andere strafen es mit Nichtachtung.

Das Bauwerk wurde von 14.000 republikanischen Zwangsarbeitern in 18-jähriger Arbeit in den Granit getrieben. Zum 30. Todestag des Diktators nahmen noch im vergangenen November über 6.000 Menschen an einem Gedenkgottesdienst teil. Die Fahnen der Faschisten wehten auf dem Vorplatz der Felsenkathedrale. Springerstiefel aber auch teure Anzüge und Pelzmäntel gehörten zum Outfit. Das Standardwerk „Franco, ein vorbildlicher Christ“ wurde verkauft. Der Abt des Klosters im Valle de los Caídos las die alljährliche Messe.

Ginge es nach den Verbänden der Opfer der Diktatur wäre mit diesem Spuk bald Schluss. Sie wollen das Monument Francos zum Monument seiner Opfer umfunktionieren. Anlässlich des 75. Jahrestages der spanischen Republik und des 70 Jahrestages des Putsches, den Franco und seine Generäle am 18. Juli 1936 gegen die Republik machten. „Zuerst muss eine ständige Ausstellung her, die erklärt, wer wann und wie das Monument gebaut hat“, erklärt Emilio Silva, der Vorsitzende der „Vereinigung zur Wiedererlangung der historischen Erinnerung“. Später sähe er gerne ein Museum über die Gräueltaten der Diktatur neben der Basilika.

Die Familie Franco müsse selbstverständlich ihren Toten exhumieren und auf einen normalen Friedhof überführen. Die linken und nationalistischen Abgeordneten stehen diesem Ansinnen positiv gegenüber. Die Konservativen lehnen es ab.

Der junge Journalist Silva hat selbst Großvater und Großonkel im Krieg verloren. Sie wurden als „Rote“ abgeholt, aufs Feld geführt, erschossen und verscharrt. Vor sechs Jahren suchte Silva ihre sterblichen Überreste zusammen und ließ sie ordentlich bestatten. Ein Beispiel, das Nachahmer fand. Überall in Spanien werden jetzt Massengräber gesucht. Eine DNA-Analyse erlaubt anschließend die Bestattung mit Namen. Auf 300.000 bis 400.000 schätzen Historiker die Opfer der Repression in den Jahren bis 1945. Die meisten “verschwanden“ ganz einfach.

Die Hälfte der 40.000 Bürgerkriegsopfer, die Seite an Seite mit Franco im Valle de los Caídos beerdigt liegen, stammen aus solchen Massengräbern. Das Regime ließ sie ausgraben und in einem Akt der „Aussöhnung“, so die frankistische Propaganda, zusammen mit Gefallenen aus Francos Truppen beerdigen. „Keiner hat je die Familien gefragt“, klagt Silva. Die Archive mit den Listen, woher die Toten stammen, sind im Kloster unter Verschluss. Es ist so gut wie unmöglich, Einblick zu erhalten.

Vor knapp zwei Jahren hat die sozialistische Regierung von José Luis Rodríguez Zapatero eine interministerielle Kommission für die Wiedergutmachung an den Opfern des Bürgerkrieges eingerichtet. Doch Ergebnisse hat sie nur wenige vorzuweisen. Sowohl die EU-Kommission als auch das Europaparlament haben den Frankismus in diesem Jahr offiziell verurteilt. Aber im spanischen Parlament reichte es vor wenigen Wochen nur zu der Ausrufung eines Jahres „des historischen Gedenkens“. Bis Jahresende sollen eine Gedenkmedaille und eine Briefmarke aufgelegt werden. „Die Regierung traut sich nicht“, beschwert sich Silva. Seit Jahren fordert er vergebens öffentliche Mittel für die Suche nach Massengräbern.

Die Vergangenheitsbewältigung gestaltet sich schwierig. Der Übergang zur Demokratie Ende der 70er-Jahre war von einem Schweigepakt geprägt. Keine Prozesse gegen ehemalige Schergen des Regimes, keine offiziellen Resolutionen – die Vergangenheit wurde ganz einfach verdrängt. „Freiheit ohne Hass“ hieß der Song zur Einführung der Verfassung. Die Opfer mussten ihr Leid schlucken.

So geht jede Gemeinde auf eigene Art mit der Vergangenheit um. Vielerorts gibt es bis heute Straßen des Generalísimo oder Plätze des Caudillo – auch in der Hauptstadt Madrid. Immerhin wurde dort vor Kurzem die letzte Statue des Diktators in eine Lagerhalle verfrachtet.

Auch die Historiker sind sich nicht einig, wie mit der Vergangenheit zu verfahren ist. Einige unterstützen Silva und seine Angehörigenvereinigung. Andere warnen davor, die Wunden wieder aufzureißen. Zu Letzteren gehört Santos Juliá von der Fernuniversität. „Die moralische Anerkennung aller Opfer des Bürgerkrieges und der Diktatur ist die einzig mögliche politische Erklärung über die Vergangenheit“, schreibt er in der Zeitung El País. „Ansonsten ist es am besten, das Gedenken den Bürgern zu überlassen, fernab der politischen Instrumentalisierung.“