: Der Aufstieg über den Blockrand
Den Stein auf den Sockel gehoben: Mit der Ausstellung „Urbane Häuser. Jan Kleihues“ stellt das Deutsche Architektur Zentrum einen der erfolgreichsten Protagonisten des „steinernen Berlin“ aus. Mit großer Geste knüpfen die Baumassen von Hotels und Bürohäusern an eine expressive Vormoderne an
VON RONALD BERG
Steinern geht es zu im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ). Auf Einladung von DAZ-Direktorin Kristien Ring präsentiert der Architekt Jan Kleihues drei Projekte, die er in den letzten fünf Jahren in Berlin fertig gestellt hat: Das Hotel Concorde, das Maritim Kongresshotel und ein Wohn- und Geschäftshaus am Leipziger Platz. Alle Gebäude bestehen anscheinend aus Naturstein.
Tatsächlich baut heute niemand wirklich mit Natursteinblöcken. Die Konstruktion auch der Kleihues’schen Bauten ist aus Beton. Der Stein ist Fassade. Die könnte man natürlich auch in Glas oder Blech davorhängen. Aber Stein scheint derzeit – zumal in Berlin – Pflicht, will man bei der Auftragsvergabe reüssieren. Steinfassaden vermitteln den öffentlichen Bauherren und den privaten Investoren eine gewisse Wertigkeit – und tatsächlich präsentiert die Ausstellung Originalteile der Steinfassaden auf Sockeln, als wären es Kunstwerke. Die Stadt aus Stein hat einen konservativen Touch, mit ihr sucht man Anschluss an eine große Vergangenheit.
Es war daher kein Zufall, dass Senatsbaudirektor Hans Stimmann, der das steinerne Berlin zum Dogma der innerstädischen Stadtentwicklung gemacht hat, den Architekten in seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung über den grünen Klee lobte. Und in der Tat: Kleihues gehört zu den Architekten, die für die rigiden Vorgaben von Traufhöhe, Blockrandbebauung und Steinfassaden die elegantesten Lösungen gefunden haben.
Dass das im Ergebnis bisweilen mit der von Stimmann auch diesmal wieder beschworenen „europäischen Stadt“ nicht viel zu tun hat, stört den Senatsbaudirektor wenig. Die „Höhenentwicklung“ (Stimman) beim Luxushotel Concorde an der Augsburger Straße sei kein Widerspruch zur wiedererlangten Urbanität des Straßenraums. Kleihues’ Hotel reicht mit 16 Stockwerken weit über das Maß der gründerzeitlichen Blöcke hinaus, die Stimmann eigentlich als Maßstab seit den Achtzigerjahren ausgerufen hat. Um die riesige Baumasse auf dem Eckgrundstück zu gliedern, hat Kleihues das Gebäude, je höher es steigt, von der Straße weg hin abgetreppt. Horizontale Gesimse zwischen jedem Stockwerk und runde Ecken in der Fassade gliedern und moderieren zusätzlich das gewaltige Steingebirge.
Beim Hotel Maritim an der Stauffenbergstraße wurde Kleihues sogar zum Vollstrecker an der von Stimmann gehassten Nachkriegsmoderne. Das aus kubisch gegliederten Baumassen bestehende Gebäude hinter dem berühmten Shell-Haus von Emil Fahrenkamp ersetzt ein zuvor abgerissenes Gebäudeensemble von Paul Baumgarten aus Stahl und Glas aus den Sechzigerjahren. Auch hier regieren nun Stein und Lochrasterfassade das Erscheinungsbild. Die Gebäudehülle aus Travertin nimmt direkt Bezug auf das Shell-Haus.
Die großformatigen Schwarzweißfotos des Architekturfotografen Stefan Müller verrücken in der Ausstellung die Kleihues’schen Häuser in die Atmosphäre der Stummfilmzeit. Besonders das tausendäugige Hotel Concorde mit seinen 311 Zimmern könnte aus Fritz Langs „Metropolis“ entsprungen sein. Das Maritim erinnert eher an das Amerika der Art-déco-Zeit der Zwanziger- und Dreißigerjahre.
Einen stilistischen Wiederanschluss an die vormoderne Vergangenheit demonstriert auch das Geschäftshaus am Leipziger Platz. Im Innern ist es wegen seiner Büronutzung modern und flexibel gehalten, die Fassade zeigt eine regelmäßige Gliederung aus Gesims und Pilaster mit schräg eingeschnittenen Fenstern. Das Haus zeigt sich in seiner strukturalen Strenge als Beispiel des in Berliner derzeit maßgeblichen Gebäudetyps.
2004 starb Josef Paul Kleihues, der Vater von Jan und Intimfreund von Stimmann, der dieses Schema einst erfunden hat. Seit der Wende gilt es als offizielle Doktrin bei der kritischen Rekonstruktion der Innenstadt. Zwar haben Vater und Sohn in dem seit 1996 bestehenden Büro Kleihues + Kleihues nie an gemeinsamen Projekten gearbeitet, aber der junge Kleihues scheint die Linie des alten fortzusetzen: die Rückverwandlung und Lückenschließung der Berliner Innenstadt zu einem steinernen Meer. Der Stein gilt dabei wieder als Zeichen der Urbanität, einer Urbanität allerdings, der es vor allem darauf ankommt, Bilder einer scheinbar schöneren Vergangenheit aufzugreifen, und weniger auf eine funktionale Gliederung von Stadt. Jan Kleihues, der gerade das neue Hauptquartier des Bundesnachrichtendienstes an der Chausseestraße baut, ist dafür zurzeit einer der erfolgreichsten Lieferanten.
DAZ, Köpenicker Str. 48/49, Di.–Fr. 10–18, Sa., So. 14–18 Uhr, bis 24. August