mit dem hirn in der hand und dem libanon im kopf von HARTMUT EL KURDI:
Man lernt nie aus. Während der Fußballweltmeisterschaft habe ich gelernt, dass „die Leichtigkeit des Seins“ (Reinhold Beckmann) in Deutschland folgendermaßen aussieht: hektoliterweise Bier saufen, mit heiserer Stimme „SIEG“ bellen, den nackten behaarten Arsch aus dem Autofenster halten und sich als Frau die schwarz-rot-goldene Verliererfahne auf die sonnenverbrannten Brüste schminken. Was an diesem Verhalten „leicht“ und „heiter“ sein soll, konnte mir zwar auch der an Plappersucht leidende Beckmann nicht erklären, aber wozu braucht man Argumente, wenn man dumpfe Emotionen hat. So ist das eben in einem Land, in dem Rammstein als Rockmusik und Rudi Carrell als Entertainer gilt.
Eine weitere Lektion dieses Sommers ist eigentlich ein alter Hut, aber wahrscheinlich vergisst man sie immer wieder, weil sie so hirnrissig ist: nämlich, dass ein Teil der deutschen Linken, um für Frieden zu demonstrieren, mit irren Islamisten und anderen Antisemiten gemeinsame Sache macht. Als ob man sich nicht aussuchen könnte, mit wem man auf die Straße geht. So waren kürzlich in Bremen bei einer Antikriegsdemo Schilder zu lesen, auf denen auf Arabisch das gefordert wurde, was die Großeltern der deutschen Mitdemonstranten vor 70 Jahren auch schon umsetzen wollten: „Vernichtet Israel“. Damals hieß der Slogan „Juda verrecke“, gemeint ist das Gleiche.
Nun bin ich weit davon entfernt, den Umgang der Israelis mit den Palästinensern oder die Bomben auf Beirut zu verteidigen. Falsch ist all das vor allem, weil die israelische Gewalt wie jede Gewalt zwangsläufig wahllos und ungerecht ist und so zu noch mehr Gewalt und Hass von der arabischen Seite führt. Aber immer wenn Israel als alleiniger Aggressor und Unterdrücker dargestellt wird, oder wenn ich aufgefordert werde, gegen den „Angriffskrieg“ der Israelis auf einer Empörungsliste zu unterschreiben, fällt mir mein Vater ein. Er war ein für arabische Verhältnisse nicht sonderlich radikaler jordanischer Offizier, gab sich aber nie auch nur die geringste Mühe, seinen Judenhass zu kaschieren. Er hätte sich niemals mit einem Juden an den Tisch gesetzt und bekannte sich voll und ganz zum damaligen Ziel der PLO: die Israelis ins Meer zu treiben. Und mit dieser Einstellung stand er weder in seiner Familie noch in seinem beruflichen Umfeld alleine. Und wer sich ein wenig im Nahen Osten auskennt, weiß, dass der Hass nicht nur auf die Israelis, sondern auf die Juden im Allgemeinen in den letzten Jahren noch enorm zugenommen hat. Ein deutscher Autor, der vor einiger Zeit ein paar Wochen in Jordanien verbrachte, erzählte mir, dass er es irgendwann leid war, täglich freudig Gratulationen zu Hitler und seiner Judenpolitik zu bekommen.
Selbstverständlich ist nicht jeder Araber ein Antisemit, aber angesichts dieser doch recht verbreiteten Psychose erlaube ich mir als Halbdeutscher/Halbaraber einfach mal eine Generation mit dem Antisemitismus auszusetzen und in diesem Sinne nicht gegen einen Krieg zu protestieren, der zwar so sinnlos und grausam wie jeder Krieg ist, aber keinen so eindeutigen Schuldigen kennt, wie es die traditionsbewussten deutschen Palästinensertuch-Träger gern hätten.
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