: Viel Leere um Nichts
Wiedergeburt der Ideenkunst: Die Frankfurter Schirn Kunsthalle setztdie Konzeptkunst der Sechzigerjahre in Bezug zu Werken der Gegenwart
von HORTENSE PISANO
Weiße Farbe hüllt die Räume der neuen Ausstellung „Nichts“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt ein. Sie wirkt wie ein kühles, wohltemperiertes Gegenprogramm zur aktuellen Hitzewelle draußen. Nach der Wiedergeburt der Malerei, vor wenigen Jahren auch in der Schirn gefeiert, mit meist figurativen Positionen, thematisiert die Kunsthalle jetzt die „Entleerung des Bildraumes“, ausgehend von der Konzeptkunst der Sechzigerjahre.
„Wie präsentiert man das Nichts?“, fragte sich im Vorfeld Schirn-Direktor Max Hollein. Kuratorin Martina Weinhart hat sich offenbar für eine Erhöhung des White Cubes entschieden –für durch und durch weiße Räume –, wohl kalkulierend, dass innerhalb der weißen Zelle der marginalste Gegenstand schon an Bedeutung gewinnt. Brian O’Doherty hat es in seinen Essays Mitte der Siebziger treffend beschrieben.
Das sakrale Weiß ist zugegeben Voraussetzung, auch dort nach der Kunst Ausschau zu halten, wo in der Schirn augenscheinlich nichts ist. Das übliche Museumsschildchen lockt in Jeppe Heins Installation „Invisible Cube“. Kaum hat man ihn betreten, zeigen Alarmsirenen das Überschreiten einer unsichtbaren Abgrenzung an. Wie schon Heins tückische Museumsbänke, die sich unerwartet quer durch den Ausstellungsraum bewegten und damit einen Blickwechsel erzwangen, so verweist auch diese Arbeit von 2006 auf die Institution und ihr Umfeld. Die Überraschung ist diesmal aber weniger spaßig, denn beim Verlassen des Cubes entdeckt man die Videokameras. Dass Jeppe Hein, Jahrgang 1974, die frühe Siebzigerjahre-Installationskunst eines Dan Graham ohne Augenzwinkern zitiert, ist ungewöhnlich. Sonst lässt der Däne den Betrachter eher zum verschmitzen Komplizen werden.
Geradezu poetisch dagegen Spencer Finchs Bildfindung. Ein gefrorenes Blatt hielt der Installationskünstler und Maler 2003 aus dem Fenster, um neun Schneeflocken aufzufangen. Eine kindliche Begeisterung fürs Flüchtige wohnt diesem Konzept inne. Denn natürlich sind die Kristalle augenblicklich geschmolzen und der Betrachter steht nun vor dem leeren Blatt Papier. Einziger sinnstiftender Rettungsanker ist der hinzugefügte Titel. Die Sprache wird hier zum Motor für die Wahrnehmung des Betrachters. Wie zuvor Jeppe Hein zelebriert auch Finch Le Vide – die Leere. Nach einem Vorreiter für solche Absurditäten muss man nicht lange suchen. „Le Vide“ nannte Yves Klein spöttisch seine Ausstellung 1958 in der Pariser Galerie Iris Clert. Damals ein Spektakel, insofern die zahlreichen Gäste einen Abend die leeren Wände anstarrten. Die Schirn zeigt keine Rekonstruktion dieses kunstfreien Raums. Der weiße Farbraum wird vielmehr zur Folie für neuere Arbeiten – etwa Karin Sanders polierte Wandfolie (2006), auf der sich Betrachter die Nase platt drücken, um sich gespiegelt zu sehen. Tom Friedmans leeres Blatt „1.000 Hours of Staring“ (1992–1997) führt ganz in die immaterielle Gedankenwelt. Jeder kann frei assoziieren, was sich Friedman während seiner fünfjährigen Performance womöglich vorgestellt haben mag.
Schon Kasimir Malewitschs „Weißes Quadrat auf Weiß“ forderte 1917/18 die Vorstellung des Rezipienten heraus, indem Malewitsch den Fluchtpunkt seines Quadrats ins Unendliche verlagerte. Spielt man nicht mit, nimmt man auf der Leinwand lediglich eine weiße Fläche wahr. Obwohl der große Vordenker des Abwesenden bereits dezidiert über das Nichts schrieb, klammert die Schirn ihn bewusst aus. Die Ausstellung setzt historisch dort an, wo sich in Abgrenzung zu Malewitsch als auch zu Ad Reinhardts Serie der „Black Paintings“ (1960 – 1966) eine verstärkte Ironisierung des abstrakten Bildes abzeichnet. Die Gruppe Art & Language erklärt etwa den Inhalt ihres schwarzen monochromen Gemäldes schlicht für unsichtbar. „The content of this painting is invisible; the exact character and dimension of the content are to be kept secret, known only to Ian Burn“ steht auf dem gerahmten Blatt – Text und Bild sind beide von 1967/68. Joseph Kosuths Arbeit „paintless“ verzichtete ein Jahr zuvor komplett aufs gemalte Bild. Seine Fotokopie ruft in Textform das Ende der Malerei aus – als „incapable of being painted or depicted“ definiert er das Gemälde. Ausgewählte Protagonisten der Konzeptkunst vereint die Gruppenschau, quasi als Herzstück, in einer überschaubaren, extra eingerichteten Box in der Box. Kosuths Arbeit „paintless“ gleich gegenüber hängt das „Secret Painting“ von Art & Language. Auch Imi Knoebels bilderloser Rahmen markiert als sichtbare Leerstelle an der Wand jenen in den Sechzigern vollzogenen Ausstieg aus dem Bild. Aus dem Kontext gelöst sind James Lee Byars goldene Bänder mit der Aufschrift „I Do Nothing“, ursprünglich Requisiten einer Performance.
Der Vertreter eines mystischen Kunstbegriffs Byars neben den reflexiven Theoretikern Art & Language neben Nam June Paiks Videoplastik „Zen for TV“ (1963): Hier kommt einiges zusammen, was in der Praxis weniger eng verknüpft war, und die Schirn versäumt es, hier die feinen Unterschiede zwischen den Bildverweigerungsstrategien der Sechziger sichtbar zu machen. Die Geschichte der Kunst und ihre Vermittlung ist, flapsig gesagt, nicht das Ding der Schirn. Die Referenzen hin zur Gegenwart zieht entsprechend deutlicher der Katalog. Warum stellt die Ausstellung keine der Installationen Spencer Finchs vor, um die Ironisierung der Moderne als Programm auch der aktuellen Kunst kenntlich zu machen? Bei Jeppe Heins gellenden Sirenen fragt man sich ein wenig, ob er seinen berechtigten Platz in einer Runde hat, die das Nichts, die Leere und die Stille zum Thema hat?
bis 1.Oktober, www.schirn.de