: Tiflis marschiert gegen Warlord
Georgische Truppen gehen mit einer Militäraktion gegen den Swanen-Herrscher des Kodori-Tales vor. Jetzt herrscht in der Region Angst vor einem neuen Bürgerkrieg
BERLIN taz ■ Zwei Tage herrschte Krieg im Kodori-Tal in Georgien. Gestern verkündete der georgische Verteidigungsminister Okruaschwili das Ende der Operation. Und Emzar Kwitsiani, bislang unangreifbarer Herrscher des Tals und starker Mann des kleinen Volkes der Swanen, scheint am Ende seiner Macht zu sein.
Anfang der Woche hatte Kwitsiani die Unabhängigkeit des Kodori-Tales verkündet. Das Tal liegt an der Schnittstelle zwischen Georgien und der abtrünnigen Republik Abchasien. Der obere Teil wurde von Swanen-Führer Kwitsiani regiert, den unteren Teil kontrolliert Abchasien. Lange schien es, als wolle Georgien keinen neuen Bürgerkrieg. 12 Jahre hält der Waffenstillstand zwischen der Zentralregierung in Tiflis und der abtrünnigen Republik Abchasien. Fast ebenso lange war Kwitsiani unumstrittener Herrscher im oberen Kodori-Tal. Alle Seiten hatten sich mit dem De-facto-Staat Swanetien arrangiert – ein Puffer zwischen Abchasien und Georgien.
Am vergangenen Dienstag gab Präsident Saakaschwili den Marschbefehl, am Mittwochmorgen marschierten 800 georgische Soldaten in das Kodori-Tal ein. Im Lauf von zwei Tagen seien mehr als hundert Menschen verletzt, einige getötet worden, berichten unterschiedliche Quellen. Nach Angaben der georgischen Fernsehstation „Rustawi 2“ seien 60 Aufständische verhaftet worden, 80 hätten sich ergeben. Der Führer der Aufständischen, Kwitsiani, sei durch einen Bauchschuss verletzt. Hubschrauber hatten ein Dorf aus der Luft beschossen. Die Schwester von Kwitsiani, Nora, berichtete im georgischen Fernsehen von Bombardierungen, die zu Panik in der Bevölkerung geführt hätten. Eine Dorfbewohnerin sei bei einem Luftangriff getötet, mindestens zwei Häuser seien vernichtet worden.
Da Journalisten und Menschenrechtsorganisationen der Zutritt in das Tal verwehrt worden war, lassen sich diese Angaben nur schwer nachprüfen. Offizielle georgische Stellen sprechen von einer erfolgreichen Polizeiaktion gegen die „Banditen“. Die Bevölkerung würde die georgischen Truppen mit offenen Armen empfangen. Die Regierungstruppen kontrollierten inzwischen sämtliche Ortschaften, die Aufständischen hätten sich in die Wälder geflüchtet. Die Aktion sei de facto beendet. Mit einem vollständigen Abschluss sei in wenigen Tagen zu rechnen.
In der direkt an das Kodori-Tal angrenzenden nicht anerkannten Republik Abchasien fürchtet man mit dem georgischen Einmarsch in Swanetien den Ausbruch einer neuen militärischen Auseinandersetzung. Die abchasischen Truppen sind in erhöhter Kampfbereitschaft. Ein Kontingent abchasischer Truppen, so ein Sprecher des abchasischen Präsidenten, werde in den von Abchasien kontrollierten Teil des Kodori-Tales verlegt. Wenn georgische Truppen nur einen Meter abchasisches Gebiet betreten würden, würde man sofort scharf schießen, sagte ein Vertreter der abchasischen Verteidigungsministeriums.
Auch für die im Konfliktgebiet stationierten russischen Friedenstruppen gilt erhöhte Wachsamkeit. Sie und die Führung Abchasiens werten das georgische Vorgehen als Verletzung des Waffenstillstandsabkommens von 1994. Das Kodori-Tal gilt in diesem Abkommen als Sicherheitszone, in der keine schweren Waffen stationiert werden dürfen.
Die georgische Opposition verurteilt ebenfalls das gewaltsame Vorgehen. Schalwa Natelaschwili, Vorsitzender der Arbeitspartei, kritisierte die Gewaltanwendung durch die georgische Regierung im Kodori-Tal. Aus Sorge über die Entwicklung im Kodori-Tal habe er sich in einem Brief an UN-Generalsekretär Koffi Annan gewandt, mit der Bitte, eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates einzuberufen.
Offiziell sind die Kampfhandlungen beendet. Doch die georgischen Truppen kontrollieren nur die Dörfer. In den Wäldern Swanetiens halten sich weiter Kwitsiani und Aufständische versteckt. Für die Ergreifung des Warlords haben die georgischen Machthaber eine Summe von 55.000 Dollar ausgesetzt. Doch es ist fraglich, ob jemand bereit ist, dafür den Aufenthaltsort des Warlords zu verraten, und Georgien die „Polizeiaktion“ binnen weniger Tage vollständig beenden wird.BERNHARD CLASEN