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Archiv-Artikel

Hoffnung auf mehr Engagement von unten

Angelina Davydova, geboren 1976 in St. Petersburg, ist Journalistin, Bloggerin und Umweltaktivistin in St. Petersburg. Seit 2006 koordiniert sie Umweltprojekte des Deutsch-Russischen Austausch DRA e.V. (Berlin, St. Petersburg) und leitet das russisch-deutsche Büro für Umweltinformation in St. Petersburg.

VON ANGELINA DAVYDOVA

Auf der einen Seite ist ein internationales Großereignis wie die Olympischen Spiele sehr gut für das Gastgeberland. Alles, was ein Land nach Außen hin öffnet, Neues aufzeigt und den Horizont der Bewohner erweitert, hat eine nachhaltig positive Wirkung. Hinzu kommen Verbesserungen der Infrastruktur, die hoffentlich der Entwicklung der Region einen langfristigen Impuls verleihen.

Auf der anderen Seite gibt die konkrete Durchführung des Projektes „Sotschi“ einigen Anlass zur Sorge – von Korruption bis hin zur Unterdrückung von Protest und Kritik: Bürgerrechte werden verletzt, es gibt Inhaftierungen, Mitglieder einiger Umweltorganisationen werden verfolgt. Auch Fälle von Umweltverschmutzung sind dokumentiert. Es gibt viele ungeklärte Fragen bezüglich der zugesicherten „grünen“ Bauweise, der „Zero Waste“-Spiele und der CO2-Bilanz. Spärliche Informationen und das Verhindern jeglicher Form von kritischer Berichterstattung werfen ein eher negatives Licht auf die Spiele.

Neben diesen lokalen Aspekten ist jedoch eine generelle Neubewertung der ethischen, sozialen und wirtschaftlichen Seiten von Infrastrukturprojekten und von internationalen Sportveranstaltungen dieser Größe zu beobachten. Weltweit nehmen die einfachen Bürger zunehmend Anteil an Entscheidungen dieser Art und bestimmen deren Ausgang. Es liegt auf der Hand, dass die für solche Prestigeprojekte verbrauchten Milliarden besser für Lehrergehälter ausgegeben werden sollten oder um marode Krankenhäuser instand zu setzen. Proteste dieser Art sehen wir nicht nur in Russland, sondern auch in Brasilien. Selbst in Deutschland und Schweden zweifeln die Bürger am Nutzen weiterer Bewerbungen für die Olympischen Spiele.

Hier wäre es wichtig, die politischen Entscheidungen nicht nur zu rechtfertigen, sondern diese abzustimmen, einen Konsens zu finden, einfache Bürger an der Diskussion zu beteiligen, zu lernen miteinander zu reden, sich zuzuhören und einander zu verstehen. Das wäre auch sinnvoll für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft.

Für mich sind diese Fragen von enormer Bedeutung, weil ich in Russland im Bereich gemeinnütziger Organisationen und als Journalistin tätig bin. Ungeachtet aller Schwierigkeiten auf dem Weg zu einer funktionierenden Zivilgesellschaft finde ich, dass öffentliches Engagement viel bewirken kann. Eine der Arbeitsregeln in Russland ist jedoch die Unberechenbarkeit oder das gänzliche Fehlen von Regeln (und das gilt nicht nur für den öffentlichen Sektor). Deshalb ist es unmöglich abzuschätzen, ob eine Bürgerinitiative Unterstützung bekommt und was sie konkret bewirken kann.

Wenn ich jedoch die Zivilgesellschaft Russlands der letzten Jahre genauer betrachte, sehe ich viel Positives. Viele Menschen lenken ihre Energie auf neue Bürgerinitiativen: Freiwilligendienste, Einwohnerprojekte zur Verschönerung ihrer Städte, Bürgerbeteiligung an städtischen und regionalen Entwicklungen, Umweltprojekte und vieles mehr. Viele dieser Initiativen existieren durch ehrenamtliches Engagement. Dieser Wunsch nach Veränderungen ist äußerst wichtig für die Gegenwart und auch die Zukunft des Landes.

Im Rahmen meiner Tätigkeit für den Russisch-deutschen Austausch und das Russisch-Deutsche-Büro für Umweltinformation versuche ich solche Bürgerinitiativen zu unterstützen, helfe Kontakte zu ausländischen Partnern zu knüpfen, einen Erfahrungsaustausch herzustellen. Bemerkenswert ist, dass wir bei unserer Arbeit keinen namhaften Druck erfahren haben. Ich habe nicht den Eindruck, dass unsere Tätigkeit bisher eingeschränkt wurde.

Ich bin eher Optimistin. Wie russische Umweltschützer zu sagen pflegen: „Wenn wir uns mit etwas Aussichtslosem wie Ökologie beschäftigen, sind wir gezwungenermaßen Optimisten.“ Gleichzeitig ist es unmöglich, eine allgemeine Aussage über die Zukunft Russlands zu treffen. Vor zwanzig Jahren war es ein Land, vor zehn Jahren ein anderes und jetzt ein drittes. Wie das vierte und fünfte Russland aussehen werden, weiß niemand. Ich hoffe, dass die Prozesse für mehr Offenheit und Transparenz, Bürgerbeteiligung und Unterstützung von Bürgerinitiativen weitere Fortschritte machen.