bücher aus den charts : Abgrundtief böse, engelhaft gut: Iny Lorentz’ feister Historienschmöker „Das Vermächtnis der Wanderhure“
Gottvoll bin ich an die Sache herangegangen – betete mir „Millionen Fliegen können nicht irren“ vor und ignorierte geflissentlich den Zusammenhang von Fliege und Scheißhaufen, so voller Lust auf leichte Hitzelektüre. Erinnerungen kamen, an die Zeit, als Sommer und Historienschmöker noch notwendig zusammenhingen – ich sage nur dtv junior, die Serie mit dem blauen Streifen (grün für „Abenteuer“ kam eher zu Weihnachten, rot für „Problem“ gab’s zur Erstkommunion). Männer waren hier Adler der Neunten Legion oder Löwenritter, Frauen lösten entweder Hexenfieber aus oder setzten Hexenkinder in die Welt. War mir egal damals, ich kannte die feministische Gegengeschichtsschreibung noch nicht.
Jetzt aber hatte ich mir in dieser Hinsicht tatsächlich was versprochen, vom neuesten Machwerk aus der Erfolgsreihe der Iny-Lorentz-Romane. Seit 2003 erschienen sieben feiste Wälzer, von „Die Kastratin“ über „Die Wanderhure“ bis zum jüngsten „Das Vermächtnis der Wanderhure“, das sich seit Wochen in den Bestseller-Top-Ten tummelt. 1,7 Millionen Verkäufe kann die Marke Iny Lorentz – das Pseudonym steht für ein Spätfünfziger-Ehepaar aus München – bislang verbuchen. In einem Interview des Onlinemagazins „Literaturschock.de“ sagt Elmar Lorentz, dass er bis zu seinem dreißigsten Lebensjahr als Landwirt geholfen hat, „das deutsche Volk mit Nahrung zu versorgen“. Von Iny weiß man, dass sie ihr Abitur am Abendgymnasium nachgeholt hat. Nun ja, heute arbeiten beide bei einer Versicherung. Ein Welt-Journalist traf sie kürzlich in ihrer bescheidenen Wohnung zwischen Sesselüberwürfen und Plastiktischdeckchen, wo sie über ihr gemeinsames Schreiben redeten: „Elmar macht die Rohfassungen“ und Iny überarbeitet dann „wie eine gute Ehefrau“ – und sich zudem als Fantasy-Rollenspieler und Wohnwagen-Urlauber zu erkennen gaben. „Das Vermächtnis der Wanderhure“ passt dazu wie Arsch auf Eimer. Es spielt im 15. Jahrhundert. Die schwangere Marie Adlerin, aus Vorgängern bereits bekannte Heldin, wird von einer Erzfeindin gekidnappt und für tot erklärt, ihr Baby entwendet, sie selbst an Sklavenhändler verkauft. Unter größtmöglichen Gefahren entkommt sie, findet zurück zu ihrem ritterlichen Mann und muss gegen die Neue an seiner Seite anstinken. Aber alles geht gut aus.
Die Story entwickelt sich genauso langatmig wie -weilig, das Tempo kennt weder Accelerando noch Ritardando, jeder überflüssige Gedanke jeder überflüssigen Nebenfigur steht unausweichlich da. Das Personal trägt Namen mit Echtheitszertifikat – Hulda von Hettenheim, Kunigunde von Banzenburg! – und ist zu 70 Prozent abgrundtief böse, zu 30 Prozent engelhaft gut. Die Lorentzens bemühen sich redlich, Sachbüchern übers Mittelalter in keinem Detail nachzustehen, und kotzen in Endlosschleife Kittel-Kemenate-Kindbettfieber aus: Jemand, der als Winzer arbeitet, weiß einen guten Tropfen zu keltern, Turkvölker verheeren in einem fort Landstriche, und Maulschellen werden verteilt, wenn Spritzwasser schmucke Kleider benetzt. Solch drög vor sich hin plätschernde Gestelztheit erträgt über siebenhundert Seiten hinweg nur, wer unfreiwillig auf sechswöchige Wolga-Flusskreuzfahrt geschickt wurde.
Oder wer Spaß daran hat, sich affengleich von einer halbpornografisch derben Stelle zur nächsten zu schwingen. Denn da wollen Weiber bestiegen, hübsche Mägde gestoßen und wohlfeile Löcher in Huren gefunden werden, da bilden sich beachtliche Beulen und schwellen die Schäfte, Metzen stöhnen meist zwangsweise und blutend unter dauergeilen Reisigen. Brutale Misogynie sorgt in dieser lahmen weiblichen Geschichtserzählung tatsächlich für die einzige Action – und für Erfolg in der Zielgruppe sämtlicher Ladys ab 40. Schluck. KIRSTEN RIESSELMANN
Iny Lorentz: „Das Vermächtnis der Wanderhure“. Knaur, München 2006, 715 Seiten, 16,90 Euro