Schwamm über alles, was war

Kein Dreißigerjahre-Kostümkitsch, kein Nazi- und Emigrantenschmelz: In der Brotfabrik setzt Maria Kwiatkowsky als jüdische Varieté-Schauspielerin in Georg Kreislers Musical „Heute Abend: Lola Blau“ ganz auf dessen subtile Sprache

Es ist heiß, im Hintergrund glühen die Alpen, so will es der Schauplatz Österreich. Vor diesem Panorama liegt eine junge Frau im Liegestuhl und telefoniert. Sie freut sich auf ihr erstes Engagement am Theater in Linz, erzählt sie. Der Onkel am anderen Ende der Leitung scheint besorgt, soweit ihre Gesprächsfetzen darauf schließen lassen. „Hitler?“ Interessiert sie nicht, wie alle Politik. Lola Blau will nur spielen. Theater nämlich. Pech nur, dass sich Hitler dann aber bald für sie interessiert.

Weil sie Jüdin ist, platzt erst das Engagement, dann muss Lola aus ihrem Zimmer raus und schließlich in die Schweiz emigrieren. Eine Odyssee beginnt, am Ende einer langen Showkarriere landet Lola Blau im gleichnamigen Musical wieder in Wien. Der Krieg ist vorbei. Schwamm über alles, was war. „Ihnen ist es in Amerika doch viel besser gegangen als uns hier“, schreibt ihr ein Fan aus der alten Heimat. Irgendwie hat er ja Recht, der Mann. Und trotzdem liegt er daneben. Doch so denkt nicht bloß dieser repräsentative Wiener, sondern irgendwie auch Lola Blau. Von der KZ-Geschichte ihres Freundes, der in Dachau war, will sie nichts wissen und mit ihm einfach da weitermachen, wo man zwangsweise 1938 aufgehört hat.

Ob das funktionieren wird, lässt der österreichische Kabarettist, Komponist und Schriftsteller Georg Kreisler offen, der diese große kleine Geschichte von der Odyssee einer Unpolitischen 1971 für seine damalige Frau, die Schauspielerin und Sängerin Topsy Küppers, geschrieben hat. Aber wahrscheinlich funktioniert es nicht.

„Heute Abend: Lola Blau“ ist ein Einpersonenmusical, das aus etwa 20 Liedern besteht, die durch Miniszenen miteinander verbunden sind. Mal telefoniert Lola, mal liest sie ihre private Post und amtliche Schreiben vor. In der Brotfabrik spielt jetzt in einer Inszenierung von Stefanie Döhle die junge Film- und Theaterschauspielerin Maria Kwiatkowsky diese Lola. Kwiatkowsky war im vergangenen Jahr für ihre Darstellung einer manisch-depressiven Siebzehnjährigen in Maris Pfeiffers Film „Liebe Amélie“ preisgekrönt worden. Im November dann hatte sie die Öffentlichkeit ziemlich irritiert, als sie Feuer in einer Kita legte.

Nun also Lola Blau, und zwar in T-Shirt und Rock ganz als Frau von heute. Kein Dreißigerjahre-Kostümkitsch, kein Nazi- und Emigrantenschmelz. Ein paar Dias mit Alpenpanoramen müssen reichen, um das Ganze zu verorten. Und eine große Reisetasche auf Rollen, aus der Lola im Laufe des Abends ihre sparsamen Requisiten kramt. Ansonsten lebt der Abend von Kwiatkowskys intensiver, vollkommen unverstellter Präsenz. Kreislers Hintergründigkeit entwickelt sie ganz aus der Sprache, hört jeder Silbe nach, kostet den subtilen Humor bis in seine metrischen Feinheiten aus. In den kurzen Zwischenszenen macht sie die Personen, mit denen sie telefoniert oder deren Briefe sie liest, fast physisch spürbar. Nie dreht sie diseusenhaft auf, was Lolas Parcoursritt durch die Varietés nahe legen könnte – und was auch einer bestimmten Aufführungstradition des Stücks entspricht. Stattdessen scheint sich Kwiatkowsky mit einer leicht linkischen Note bei ihrem Vortrag über solche historischen Linien lustig zu machen. Heraus kommt eine sehr moderne Kreisler-Interpretation, die in keinem Augenblick den Hintergrund, vor dem das Stück entstand, aus den Augen verliert. ESTHER SLEVOGT

Nächste Vorstellungen: 29., 30. 7. und 16. 8. bis 20. 8., jeweils 20 Uhr, Brotfabrik, Caligariplatz