: Helft Israel
Die Sicherung der Grenze zum Libanon überfordert die Regierung in Jerusalem. Die internationale Gemeinschaft muss das als Chance sehen – und ihr die Mission abnehmen
Zwei Wochen nach Beginn der israelischen Offensive im Libanon meldet sich in Israel noch immer kaum Kritik zu Wort. Abgesehen von dem linksradikalen Friedenslager, das am Wochenende zum ersten Mal ein paar tausend Aktivisten auf die Straße brachte, bleibt es ruhig unter den israelischen Friedensfreunden. Die größte Bewegung „Peace now“ klammert das Thema aus und konzentriert sich, vom Krieg im Norden unberührt, weiter auf den Kampf gegen den Mauerbau auf palästinensischem Land.
Nur zaghaft wagen die ersten Journalisten, nach Sinn und Unsinn der massiven Bombardierungen zu fragen, die die Schlagkraft der Hisbollah bisher kaum reduzierten. Wie völlig anders hatte die Presse erst zwei Wochen zuvor auf die Militäroperation im Gaza-Streifen reagiert, die genau wie im Libanon durch die Entführung eines Soldaten ausgelöst worden war. „Die Regierung lässt nichts aus, um die Befreiung (der Geisel) Gilad Schalit zu verhindern“, wetterte die auflagenstärkste Zeitung Jediot Achronot.
Dabei erscheinen beide Szenarien nahezu identisch: Muslimische Extremisten dringen auf israelisches Gebiet vor, greifen Soldaten an, entführen einen oder mehrere von ihnen und fordern als Lösegeld die Entlassung ihrer in israelischen Gefängnissen inhaftierten Brüder. In beiden Fällen kamen die Ausbilder für die strategisch einwandfreie Aktion aus dem Teheran. Doch so offensichtlich die Parallelen sind: Beide Angriffe stehen auf völlig unterschiedlichem Papier.
Während die palästinensische Hamas für die Befreiung und Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes kämpft, das wirtschaftlich von Israel und der Welt isoliert tagtäglich ums Überleben kämpft, ist das Volk der Hisbollah längst befreit und selbstbestimmt. Die Hamas verfolgt kein anderes Ziel als die Vertreibung der Zionisten aus der Heimat der Palästinenser – vom Jordan bis zum Mittelmeer. Das mag für Leute, die das Existenzrecht Israels anerkennen, verwerflich sein, und doch ist es für die Israelis selbst ungleich verständlicher als die Aggression der schiitischen Extremisten im Nachbarstaat Libanon. Der politisch unbegründbare Hass der Hisbollah gegen Israel schürt dort Existenzängste: „Es geht um Leben und Tod“, sagt etwa der Friedensnobelpreisträger Schimon Peres. Hier mischt sich das Trauma der Konzentrationslager mit dem Schrecken über die antizionistische, bisweilen antijüdische Hetze, komme sie aus Beirut, als Damaskus oder Teheran.
Nicht ohne Grund hielt sich der Westen so lange mit Kritik gegen das israelische Wüten im Libanon zurück. Natürlich kann man den Tod hunderter libanesischer Zivilisten in Beirut nicht mit dem Seelenzustand der Israelis rechtfertigen. Dass deren Angst Katalysator der Militäroffensive ist, muss trotzdem wahrgenommen werden. Die logische Konsequenz daraus ist, Israel diese Mission abzunehmen.
Die Militäroffensive im Libanon hat weder erreicht, die Hisbollah erkennbar zu schwächen, noch die kollektiv bestrafte libanesische Bevölkerung zum Umdenken anzutreiben. Im Gegenteil: Anstatt sich gegen die schiitischen Rebellen zu positionieren, stehen die Libanesen Israel heute wieder so ablehnend gegenüber wie zu Hochzeiten der Invasion vor gut 20 Jahren. Wenn es überhaupt einen Erfolg zu verzeichnen gibt, dann den, dass sich auf Regierungsebene etwas zu bewegen scheint. Mit 6 Jahren Verspätung ruft die libanesische Regierung um Hilfe gegen die Hisbollah. Diese sei „ein Staat im Staat“, wie Premierminister Fuad Siniora schimpfte. Die internationale Gemeinschaft darf diese Chance nicht verpassen und sollte Beirut zudem beim Wiederaufbau der zerstörten libanesischen Infrastruktur finanziell unter die Arme greifen.
Sogar Syrien bietet sich als Vermittler an – paradox, angesichts der Tatsache, dass die Drahtzieher beider Entführungen, im Gaza-Streifen als auch an der libanesischen Grenze, in Damaskus zu suchen sind. Syriens Interesse ist die Rückgabe der 1967 von Israel annektierten Golanhöhen. Die Regierung in Jerusalem lehnt eine Wiederaufnahme der Verhandlungen an der Stelle, an der sie im März 2000 scheiterten, wie Baschar Assad es fordert, ab. Doch der jüngste Raketenregen im Norden könnte die Drahtzieher in Jerusalem nun zum Umdenken bewegen.
Ohne eine politische Lösung mit Syrien werden die schiitischen Extremisten im Libanon die erste Gelegenheit wahrnehmen, um ihre Waffenlager wieder aufzufüllen. Für Israel ist daher nur ein syrisch-libanesisches Friedenspaket attraktiv. Dabei wäre eine Rückgabe der Golanhöhen durchaus denkbar: Gut 15.000 Juden leben heute auf dem annektierten Land, die meisten von ihnen gehören zum linksliberalen politischen Lager. Szenen des Widerstands, wie es sie im Verlauf des Abzugs aus dem Gaza-Streifen gab, werden sich auf den Golanhöhen kaum wiederholen.
Trotzdem bedarf es für den Meinungsbildungsprozess in Israel guter Argumente. Dafür ist nichts besser geeignet als überzeugende Garantien, dass es anschließend an den Grenzen ruhig bleibt. Die volle Souveränität der Regierung in Beirut und die Entwaffnung der Hisbollah sind nur ein Teil der Lösung.
Die israelisch-syrischen Friedensverhandlungen scheiterten vor gut sechs Jahren auch an der Frage der Art der Beziehungen, die beide Staaten im Anschluss einer Einigung unterhalten. Israel forderte den Austausch von Botschaftern und stieß damit auf die Ablehnung von Assad Senior. Um einen Frieden langfristig funktionieren zu lassen, wird es indes nicht anders gehen.
Niemand soll sich der Illusion hingeben, dass Grenzübergriffe nach Vertragsunterzeichnung der Vergangenheit angehören. Um dann Eskalationen zu vermeiden, ist rasches diplomatisches Eingreifen gefragt.
Aber: Israel lässt sich bei der Mission, das eigene Volk zu schützen, nur allzu gern unter die Arme greifen. Selbst Palästinenserpräsident Jassir Arafat wurde in den späten Neunzigerjahren mit der Aufgabe betreut, als er noch bereit dazu war, sie auch zu erfüllen. Damals saßen die führenden Köpfe der Hamas nicht hinter israelischen Gittern, sondern hinter palästinensischen. Nach den Terrorattentaten auf der Sinai-Halbinsel, bei denen auch israelische Touristen ums Leben kamen, schickte Israel medizinische Hilfe und Suchtruppen für die Verschütteten, keine kämpfenden Einheiten.
Als im April 1997 sieben israelische Schülerinnen an der Grenze nach Jordanien von einem offenbar geistesgestörten jordanischen Soldaten erschossen wurden, dachte in Jerusalem niemand daran, die Truppen Richtung Amman zu schicken. Stattdessen reiste König Hussein in die Heimatdörfer der ermordeten Mädchen, um die trauernden Eltern zu besuchen. Der Attentäter wurde vor ein jordanisches Gericht gestellt und sitzt bis heute im Gefängnis.
SUSANNE KNAUL