: „Ich will die Welt nicht beherrschen“
Falk Walter
Für größenwahnsinnig hält er sich nicht, noch nicht einmal für besonders ehrgeizig. Falk Walter, 41, betreibt dennoch eines der größten und erfolgreichsten Berliner Kulturunternehmen. Vor elf Jahren eröffnete er das Theater- und Kulturzentrum Arena in Treptow. Dazu kamen drei schwimmende Gastronomiebetriebe und ein Badeschiff auf der Spree. Sein bisher ehrgeizigstes Projekt ist der Umbau des Metropol-Theaters an der Friedrichstraße. Am 11. August wird es mit Brechts „Dreigroschenoper“ eröffnet. Walter ist von Beruf Schauspieler, er floh 1985 über Moskau und die Mongolei aus der DDR in den Westen. Seitdem hat er das Vertrauen, fast alle Hindernisse überwinden zu können
INTERVIEW NINA APIN
taz: Herr Walter, wann hatten Sie das letzte Mal Urlaub?
Falk Walter: Das letzte Mal war ich vor zwei Jahren mit Freundin und Tochter in Thailand. Der Urlaub endete abrupt, als Berlins Finanzsenator den Admiralspalast an einen anderen Käufer vergeben wollte, obwohl wir den Zuschlag schon hatten. Die letzten beiden Tage hing ich nur am Telefon; von Entspannung war keine Rede mehr.
Eigentlich könnten Sie sich jetzt auch mal entspannen, oder?
Entspannen? Sie meinen rumsitzen und an keine neuen Projekte denken? Das kann ich nicht. Auch wenn mich meine Mitarbeiter manchmal ermahnen, nicht noch eine Baustelle aufzumachen.
Sind Sie ein ehrgeiziger Mensch?
Ehrgeiz ist nicht meine Triebkraft. Was mich morgens aufstehen lässt, ist der Spaß am Denken, an der Auseinandersetzung mit bisher unbekannten Dingen. Die Zeit für Experimente ist günstig. Wenn ein Badeschiff geht, geht fast alles. Ich betrachte ständig Althergebrachtes und frage mich, wie man es auch anders machen kann.
Sie wollen also nur spielen?
Das Spiel mit neuen Gedanken ist immer nur der Anfang. Beim Badeschiff war es ein physikalisches Experiment: Wie kann ein voller Topf auf dem Wasser schwimmen? Aber der Rest ist ernst: Ich verbringe den größten Teil meiner Zeit damit, Bedenkenträger zu überzeugen. Dieser Aufwand lohnt sich nur, wenn ein Projekt nicht nur Spaß bringt, sondern auch notwendig ist.
Wofür ist der Admiralspalast notwendig? Das Gebäude war marode und es hat 924 Räume …
Die Arena produziert Theaterstücke am laufenden Band wie nur wenige in Deutschland. Mit unseren Produktionen ziehen wir durch ganz Deutschland, aber unser eigenes Haus ist ständig mit Konzerten und Partys belegt. Das Metropol-Theater bot sich als Spielort an – und es hat als legendärer Vergnügungstempel und Brecht-Bühne eine passende Geschichte.
Das ehemalige Metropol-Theater am Nollendorfplatz – inzwischen unter dem Namen Goya bekannt – hat auch eine tolle Geschichte. Das hätten Sie sogar fertig umgebaut übernehmen können, wollten aber nicht. Kein Interesse?
Das Goya und auch das Tempodrom wurden mir schon oft angeboten, aber ich denke anders. Es interessiert mich nicht, mir beliebig Häuser unter den Nagel zu reißen und ein Vergnügungsimperium zu schaffen.
Sie reizt nur das, was Sie sich selbst ausgedacht haben?
Das ist nicht der Punkt. Für mich reicht es als Grundidee nicht, ein Haus umzubauen und Leute Aktien zeichnen zu lassen. Ich gehe in die Tiefe eines Ortes und setze da an, wo er mich verzaubert. Beim Admiralspalast war das seine Geschichte. Der Ort und seine Bestimmung müssen organisch und zur richtigen Zeit zusammenkommen.
Wie heißt Ihre Erfolgsstrategie?
„Alles zu seiner Zeit“. Erst jetzt hat sich etwa das Gebiet am Osthafen soweit entwickelt, dass ich dort einen Yachthafen bauen will. Als der Architekt vor Jahren mit der Idee auf mich zukam, sagte ich: „Was hab ich denn mit Yachten zu tun?“ Ich habe noch nicht einmal einen Bootsführerschein, und wenn ich ein Segelboot sehe, muss ich kotzen.
Aber fast alle ihre Projekte haben doch mit Wasser zu tun?!
Ich liebe Wasser, aber eher zum Schwimmen und Paddeln. Überzeugt von der Marina war ich erst, als ich nachts eine Idee dazu hatte. Alle meine Ideen kommen mir nachts. Ich brauche sehr wenig Schlaf und schreibe sitzend im Bett unzählige Notizbücher voll. Immerhin fast die Hälfte davon taugt bei Tageslicht noch etwas.
Wie hält Ihre Familie das aus?
Vor denen kann ich nur den Hut ziehen. Meine inzwischen elfjährige Tochter fand mich vor zwei Jahren nachts in der Badewanne, wie ich mit Schnüren und Streichhölzern zwischen den Fingern eine Tupperdose im Wasser balancierte. Das war die Konstruktionsidee für die Badewanne. Da sagt sie: „Papa, jetzt reicht’s!“ Momentan möchte ich auch nicht mit mir zusammen sein. Es wird Zeit, dass der Admiralspalast endlich eröffnet. Ich weiß nämlich nicht, wie lange meine Freundin das noch mitmacht.
Sind Sie süchtig nach immer neuen Herausforderungen?
Das klingt so nach verbissenem Ehrgeizling. Ich möchte die Welt nicht beherrschen mit meinen Ideen. Ich will sie nur ein bisschen schöner machen mit Orten, die den Sehnsüchten unserer Zeit entsprechen.
Die modernen Sehnsüchte haben mit urbanem Flair am Wasser zu tun?
Genau das ist zu kurz gedacht. Ein Beispiel: In den Zwanzigerjahren beleuchtete man die Fassade des Metropol-Theaters mit 5.000 Glühbirnen. Das war im Zeitalter der Gaslaterne eine Attraktion. Wir wollen jetzt den Innenhof des Admiralspalastes mit individuell steuerbaren LED-Anzeigen pflastern.
In der Kulturszene werden Sie wegen solcher Aktionen als Eventmanager belächelt. Ärgert Sie das?
Dass ich von subventionierten Theatern als Kommerztyp wahrgenommen werde, damit kann ich leben. Was mich ärgert, ist, dass Wirtschaft und Kultur immer noch als unvereinbar gesehen werden. Wenn ich Geld für ein Theater will, sind die Banken entsetzt, weil man damit ja kein Geld verdienen kann. Wenn ich beweise, dass es doch geht, misstraut man mir erst recht. Dabei geht es mir nicht um das Anhäufen von Kapital, sondern auch um das Gemeinwohl.
Mit einem Badeschiff?
Nein, mit der Jugendtheaterschule, die ich in der Arena betreibe, einem Wasserreinigungsprojekt für die Spree und Arbeitsstellen für Flüchtlinge, die ich beschäftige. Ich möchte keinen Dank dafür – ich möchte nur, dass man es mir nicht unnötig schwer macht.
Nicht nur Politiker erschweren Ihre Vorhaben. Beim „popkick“-WM-Festival im Treptower Park bekamen Sie es mit Anwohnern zu tun, die um die Totenruhe der dort begrabenen sowjetischen Soldaten bangten. Wie war dieser Kontakt für jemanden, der aus der DDR geflohen ist?
Das war für mich eine Reise in eine Vergangenheit, die ich seit 1985 hinter mir glaubte: Die Diktion der Beschwerdebriefe las sich, als sei Karl-Eduard von Schnitzler wieder auferstanden.
Der Moderator der DDR-Propagandafernsehsendung „Der Schwarze Kanal“?
Genau: „Die profitorientierte Veranuard von Schnitzlerstaltungs GmbH geht rücksichtslos mit der Totenruhe und der Natur um“, das war fast original! Es stellte sich heraus, dass hinter der Protestlawine, die auf Bezirk und Senat niederging, ein 77-jähriger Doktor der DDR-Ökonomie steckte.
Da weiß man doch wieder, warum man weggegangen ist …
Das wusste ich immer: wegen der spießigen Werte und Autoritätshörigkeit der DDR-Bürger. Wenn man auf dem Fahrradweg in die falsche Richtung fuhr, wurde man von jedem zurechtgewiesen. Ich möchte aber selbst frei und verantwortlich entscheiden, was ich tue. In der DDR gab es keine Liberalisierungsbewegung, die Hinterfragung von Autoritäten fand nie statt. Bis heute ist das der größte Unterschied zwischen Ost und West. Und nirgends merkt man das so wie im Admiralspalast, wo der Gründungsmythos der DDR seinen Anfang nahm, mit der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED.
Hat Sie die Beschäftigung mit dem Admiralspalast politisiert?
Sehr stark sogar. Vorher dachte ich immer, ich wüsste viel über die DDR. Die Geschichte des Hauses zeigte mir: Ich ahnte nicht einmal, mit welcher Brutalität und Bauernschläue der SED-Staat seine Ideologie in alle Bereiche des Lebens drückte und die Mauer nach innen verankerte. Wussten Sie denn, dass noch kurz vor dem Mauerfall 95 Prozent der DDR-Bürger die Mauer als „antifaschistischen Schutzwall“ bezeichneten? Im Westen sprach man erst seit Willy Brandt nicht mehr von verlorenem Krieg, sondern vom größten Verbrechen der Menschheit. Diese Aufarbeitung muss endlich für die DDR stattfinden.
Sie sind 1985 aus der DDR geflohen. Erinnert Sie heute in Berlin zu viel oder zu wenig an die DDR-Vergangenheit?
Beides. Auf den Palast der Republik als Pilgerstätte kann ich zum Beispiel verzichten. Dass es so etwas wie Ostalgie gibt, ist ein unhaltbarer Zustand: Die DDR wird viel zu oft verharmlost. Meine Tochter fragte mich mal: „Papa, wieso bist du eigentlich durch die halbe Welt gereist, du hättest doch einfach mit einer Leiter über die Mauer klettern können …“ Sie dachte, ihr Papa hat sich nur doof angestellt. Ich würde ihr das Eingesperrtsein, die Enge und den Druck dieser Diktatur gern erfahrbar machen. An einem authentischen Ort.
Planen Sie jetzt etwa eine Mauergedenkstätte?
Erstaunt Sie das?
Ein bisschen.
Ich bin eben kein Spaßbademeister – ich habe Spaß daran, politisch zu denken. Im ehemaligen Luftschutzbunker unter dem Flutgraben fand ich eine Wand, mit der die DDR die Grenze zum Fluss hin verstärkt hatte. Ich dachte sofort: „Ich möchte hier eine Ausstellung zum Thema ‚Freiheit‘ machen.“ Ich schrieb zwei Briefe an den Mann, der dafür gesorgt hatte, dass diese Wand und alle anderen Grenzbefestigungen wegkamen. Michael Gorbatschow kam tatsächlich und eröffnete die Ausstellung. Niemand hätte gedacht, dass ich das schaffe…
…und dann klappte es doch, wie bei so vielen Ihrer Projekte. Was stellen Sie sich an der Mauer denn vor?
Genaues kann ich noch nicht verraten. Aber ich plane, die alten Grenzanlagen in Treptow wieder sichtbar zu machen. Auch für eine Ausstellung recherchiere ich schon.
Kultursenator Thomas Flierl (PDS) hat doch aber bereits ein Mauergedenkkonzept für Berlin ausgearbeitet.
Ein Mann, der jahrelang den realsozialistischen Kulturbegriff mitgeprägt hat, hat nicht das Recht, das Erinnern an die Mauer zu bestimmen! Außerdem ist sein Konzept viel zu vorsichtig: Ich hätte da gerne ein paar konkretere Aussagen über das, was war.
Sehnsuchtsorte sind das dann aber nicht gerade.
Neben den urbanen Oasen muss es auch Orte geben, die an die unrühmlichen Geschichtskapitel der Stadt erinnern. Spaß und Verantwortung gehören zusammen. Das möchte ich gerne meiner Tochter beibringen.